Probleme und Lösungen unterscheiden sich in der Stadt und auf dem Land
Etwa beim Musikprojekt "Canto Pazífico": Hier arbeiteten Salazar und seine Kolleg:innen mit Kindern aus Problemvierteln der Städte Tumaco und Quibdó, im Westen Kolumbiens gelegen. "In diesen Vierteln gibt es Drogenhandel und oft verkaufen Kinder die Drogen oder informieren die Banden, wenn die Polizei kommt. Als sie bei unseren Initiativen mitmachten und viel Zeit mit uns verbrachten, hörten sie langsam damit auf", sagt Salazar. Das sei beinahe die einzige Möglichkeit, Jugendliche aus den Banden herauszuholen, wenn sie dort erst einmal hineingeraten sind. Auf dem Land sei die Situation komplizierter – und gefährlicher: "Dort gibt es Gegenden, wo nicht einmal die Polizei hingeht, sondern nur wir hineingekommen sind."
Bei Tejiendo Caminos geht es darum, dass die Kinder sich selbst einbringen. Gemeinsam arbeiten sie daran, die Geschichte ihres Dorfes oder ihrer Familien zu verstehen und machen sich Gedanken über die Folgen von Flucht und Gewalt. Dann entwickeln sie Ideen oder Lösungen, wie sie die Themen bearbeiten wollen. "Es ist schön zu sehen, wie sie den Prozess selbst leiten", sagt Felipe Salazar.
Kinder stärken mit eigenen Projekten die Gemeinschaft
Auch in der Grenzregion La Guajira gibt es Probleme mit Plastikmüll. In diesem Projekt nutzen die Kinder den Müll für kreative Projekte. Foto: Felipe Salazar
Je nachdem, was den Kindern einfällt und wichtig erscheint, variieren auch die Projekte. In Juradó, einer Stadt an der Grenze zu Panama und am Pazifik gelegen, gingen die Jugendlichen auf Zeitreise: Sie bildeten die alte, indigene Kultur ihrer Ahnen nach und legten Gärten im Dschungel an. "Dafür haben sie Flächen ausgewählt, auf denen illegaler Bergbau betrieben worden war, und dort traditionelle Medizinpflanzen angebaut", sagt Salazar.
In der Grenzregion La Guajira wachsen kolumbianische und venezolanische Kinder durch Kunstprojekte zusammen. Foto: Felipe Salazar
In einer anderen Gegend hatten die Jugendlichen eine kreative Idee, um sich gegen die Umweltverschmutzung zu wehren. "Dort gibt es kein Trinkwasser, deswegen kommt alles in Plastikflaschen dort an. Die Jugendlichen hatten eine sehr schöne Idee: Sie veranstalteten Kino-Abende." Salazar und seine Kolleg:innen stellten Filme und Bildschirme bereit. "Aber die Idee für den besonderen Eintrittspreis kam von den Kindern selbst. Anstelle von Geld verlangten sie fünf leere Plastikflaschen. Das war vielleicht ein Anblick, wie überall die Kinder herumgerannt sind, um Plastikmüll zu sammeln", sagt Salazar und lacht.
Da viele Regionen unter der Gewalt krimineller Banden leiden, geht es in vielen Projekten auch darum, den Gemeinden neuen Mut zu geben und sie im Widerstand gegen diese Gewalt zu unterstützen. "Wir haben zum Beispiel einen Park, in dem diese Banden vor einigen Jahren ein Massaker angerichtet haben, für Theaterstücke und Wandgemälde genutzt. So konnten die Bewohner:innen des Ortes diesen Park zurückerobern und ein wenig ihre Angst ablegen."
Gefährlicher Alltag für Mitarbeiter:innen
Viele Orte, an denen Felipe Salazar und seine Kolleg:innen arbeiten, liegen extrem abgeschieden. Die Reise dorthin ist oft lang und gefährlich. "Manchmal brauchen wir vier Tage, um von Bogotá dorthin zu gelangen. Zuerst muss man einen Platz finden, an dem ein Flugzeug landen kann, danach geht es acht Stunden in einem Boot über den Fluss, dann übernachten wir und am nächsten Tag müssen wir ein anderes Boot finden, das uns mitnimmt. Das sind Orte, die ganz tief im Dschungel liegen", erzählt Felipe Salazar. Seine Kolleg:innen trafen während einer solchen Reise auf eine bewaffnete Gruppe, die ihnen acht Stunden gaben, um ihr "Territorium" wieder zu verlassen.
In La Guajira seien Mitarbeiter:innen ausgeraubt und mit einem Messer bedroht worden – von Menschen aus der Gemeinde, in der sie helfen. "Wir mussten ihnen klarmachen, dass wir hier mit Kindern arbeiten und dass sie uns arbeiten lassen müssen." Wichtig sei immer die Sicherheit der Menschen in den Gemeinden. "Wenn wir merken, dass sie durch uns noch mehr Gefahren ausgesetzt sind, dann schließen wir den Standort", sagt Felipe Salazar. Er selbst fokussiert sich weiterhin auf Musik, Kunst und Sport. Denn er ist überzeugt, dass sich so etwas verändert. "Wir können noch so viele Workshops zu Prävention machen, wenn es nicht in die Praxis umgesetzt wird, hilft es nichts. Wenn 30 Kinder gemeinsam Musik machen und über ihre Rechte singen, dann verstehen sie die Botschaft aus ihrem Innersten heraus."