Meine Reise ins Land von Krieg und Hoffnung

SOS-Mitarbeiterin berichtet aus der SOS-Klinik in Mogadischu

Einer der gefährlichsten Orte der Welt: Somalias Hauptstadt Mogadischu. SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel berichtet von ihrem Besuch in der Mutter-Kind-Klinik der SOS-Kinderdörfer.

Mutter mit Baby in der SOS-Klinik in Mogadischu, Somalia. Fotos: Katharina Ebel

"No woman, no cry" wabert aus den Lautsprechern auf der abgedunkelten Dachterrasse. Während die chilligen Friedensmelodien Bob Marleys einen Teil der Gäste zum abendlichen Blick auf das Meer verführen, versuchen andere im Schutz der Dunkelheit und umhüllt vom Rauch der Grillkohle, die fleischigen Schatten auf ihren Tellern zu identifizieren. Man könnte sich im Urlaub wägen. Wären da nur nicht die irritierenden, die Wohlfühlatmo zerreißenden Gesprächsfetzen über Anschläge und Katastrophen. All das wirkt surreal, befinde ich mich doch an einem der gefährlichsten Orte der Welt, in Somalias Hauptstadt Mogadischu.

Spuren des Krieges: Ruinen in Mogadischu.

Drei Tage zuvor. Ich sitze in einer wackeligen Sardinenbüchse mit Flügeln auf dem Weg von Nairobi nach Mogadischu. Allgemeines Aufatmen als die Räder des hochbetagten Fliegers mit einem Schmatzen die Landebahn berühren.

Welcome to Peace Hotel

Im Terminal eilt ein Mann auf mich zu: "I am Hassan from SOS", sagt Hassan und nickt mir zu. Nach kurzer Prüfung meiner Kleidung und meines Kopftuchs fügt er hinzu: "Good, you dressed appropriately."

Hassan begleitet mich aus dem Flughafen. Hier wartet ein gepanzertes Allrad-Fahrzeug mit Sicherheitsleuten. Nach kurzer Fahrt taucht vor uns ein schweres grünes Stahltor auf. "Welcome to Peace Hotel!", grinst der Fahrer, während uns Männer mit Kalaschnikows in Empfang nehmen. Ich sollte die Bedeutung von Peace noch einmal nachschlagen, denke ich zynisch.

Geschäftiges Treiben: Der Fischmarkt am Strand von Mogadischu.

Viel weiter komme ich nicht in meinen Überlegungen, denn Hassan mustert meine Kleidung erneut und fragt: "Do you have something even more loose?" Ich nicke nur, gehe in mein Friedens-Hotel-Zimmer und ziehe mich um. Jetzt bin ich beunruhigt. Weil Hassan es ist. Als ich zurückkomme, zupft er an meinem Kopftuch bis auch wirklich nichts mehr von meiner weißen Haut zu sehen ist. Schließlich nickt er zufrieden. Jetzt kann es losgehen. Besuch im SOS-Kinderdorf und der SOS-Mutter-Kind-Klinik.

Alltag im Krieg

Im Hof der SOS-Klinik: Müttern warten mit ihren Kindern auf die Behandlung.

Der gepanzerte Wagen schlingert über die unbefestigten Sandstraßen, die der andauernde Gu-Regen in Schlammlöcher verwandelt hat. Die ehemals wunderschönen Kolonialbauten der Altstadt mit den Arabesken, Mustern und Rundbögen, Einflüssen aus italienischer und arabischer Architektur, sind nach den Kämpfen gegen die Al-Shabab Milizen nur noch Trümmer. Ihre zackigen Ruinen ragen wie faule Zähne in den regenschweren Gu-Himmel. Dazwischen sammeln Kinder Müll oder wuchten Ziegelreste beiseite, um ihren Eltern zu helfen, ihr Zuhause gegen die allgegenwärtige Feuchtigkeit abzudichten. Manche spielen sogar. Aber es wirkt deprimierend, wie sie zwischen Kriegstrümmern versuchen, ihr Recht auf Kindheit einzuklagen. Plötzlich Trubel und Rufe. Am Strand ist Fischmarkt. Vor der Kulisse des aufgebrachten Meeres bieten die Fischer ihre Monsterfische feil. So große Meerestiere habe ich noch nie gesehen.

35 Minuten, unzählige Einschusslöcher und Bodenwellen später, passiert der Konvoi das Tor zur "Sauce Klinik", wie sie die Somalis SOS Klinik hier nennen. Hier in der Red Zone, einem immer wieder von Angriffen geplagten Teil der Stadt, wird operiert, entbunden, geimpft.

Letzte Hoffnung "Sauce"-Klinik

Lebensrettende Hilfe: Ärzte und Pfleger behandeln in der SOS-Klinik ein Kind.

Der Hof ist geflutet von Müttern, die Kleinkinder und Babys im Arm halten. Sie beobachten mich neugierig, während ich mich aus dem gepanzerten Gefährt schäle. Vor mir springen die Soldaten von den Pick-up-Trucks und sichern das Gelände. Wo ich gehe und stehe, werde ich von Gewehren gesichert, als wären die Kinder und Mütter eine Bedrohung. Ich versuche zu lächeln. Hoffe, ich könnte die Situation so entschärfen - bis ich feststelle, dass Soldaten für die Menschen hier zum Alltag gehören. Wer nicht zum Alltag gehört, bin ich. Nach 30 Jahren Krieg  ist das Land vergessen. Besucher kommen oft nur zu Blitzbesuchen wegen der Sicherheitslage. Unsere somalischen Ärzte und Schwestern erzählen, dass es in Mogadischu keinen sicheren Ort als das SOS-Kinderdorf und die Klinik gibt. Überall könne es aber jederzeit knallen, sagen sie. Jeder Schritt ist hier gefährlich.

Die Behandlung ist kostenlos und viele der Eltern haben eine lange Reise auf sich genommen, um ihre Kinder hierher zu bringen.

Ein Kind liegt in eine goldschimmernde Rettungsfolie gehüllt auf einer Bare im Hof. Die Augenlider der Kleinen flackern. Ihre Mutter steht neben ihr und versucht sie wach zu halten, indem sie sanft auf sie einredet. Ihre Umgebung und damit auch uns, scheint die 5-Jährige nicht mehr wahrzunehmen. Das Mädchen leidet an einer Durchfallerkrankung, an sich eine Lappalie, die aber ohne Behandlung den Tod bedeuten kann. Krankenhäuser, Gesundheitsstation, Ärzte oder Medikamente sind in Somalia entweder nicht in Reichweite, oder die Menschen können sich erst gar nicht die Anfahrt, geschweige denn die Medikamente leisten. Ich stelle mir vor, wie es wäre, mit einem kranken Kind zu Hause zu sitzen und zu wissen, Hilfe ist unerreichbar.

Die Verzweiflung der Mütter muss grenzenlos sein. Unter- und Mangelernährung schwächt die Kinder und macht sie anfällig für Krankheiten. Somalia ist mit 96 Todesfällen pro 1000 Geburten fast traurige Weltspitze. Nur Afghanistan hat eine noch höhere Kindersterblichkeitsrate. Deshalb ist für viele die SOS-Klinik mit ihren schachtelartigen, einfachen Behandlungsräumen die letzte Hoffnung. Die Behandlung ist kostenlos und viele der Eltern haben eine lange Reise auf sich genommen, um ihre Kinder hierher zu bringen.

Aus fast allen Familien in und um Mogadischus ist in der SOS-Klinik ein Kind auf die Welt gekommen.

Ich bin im Flur, als aus einem Raum Schreie dringen. Eine Frau liegt in den Wehen. "Das ist diesen Monat die 413. Geburt", lacht Hebamme Faduma. Sie ist eine gut gelaunte, rundliche Frau in einem pinken Hijab. Heute ist erst der 17. April. Faduma bemerkt mein Erstaunen und zeigt mir zum Beweis das Geburtenregister. "Aus fast allen Familien in und um Mogadischus ist hier ein Kind auf die Welt gekommen. Sie ist schon seit 30 Jahren dabei.

Nebenan fächelt eine junge Frau einer werdenden Mutter Luft zu. Klimaanlagen gibt es nicht. Stattdessen schwere feuchte Luft, die nicht nur von den Patienten einen Tribut einfordert. Auch die Wände haben gelitten. Überall bröckelt Farbe, dafür blüht der Schimmel. "Wir sind hier so ziemlich die einzigen mit einer Gynäkologie, sagt Faduma, als sie meinen Blick sieht." Die Schwangere sieht schlecht aus, wälzt sich unruhig hin und her. "Bluthochdruck", erklärt Klinikdirektor Mohamed.

Die Arbeitsbelastung des Ärzte- und Schwesternteams ist extrem. Trotzdem wirken sie, als wären sie mit dem Herzen dabei. Eine Schwester scherzt gerade mit einem ihrer kleinen Patienten, als ich den Raum betrete. Der Kleine ist von Verbrennungen schwer gezeichnet. Statt glatt und seidig, wirkt seine Kinderhaut mehr wie ein Blasen schlagendes Puzzle. Der Anblick tut weh.

"Immer in Gefahr, ins Kreuzfeuer zu geraten"

"Wir sind hier so ziemlich die einzigen mit einer Gynäkologie": Hebamme Faduma arbeitet seit 30 Jahren in der SOS-Klinik.

Auf dem Hof treffe ich Dr. Deka. Sie ist eine junge, engagierte Ärztin, die, zusätzlich zur Arbeit hier, eine mobile SOS Klinik in einem der Flüchtlingslager leitet. "Die Überstunden, der allgegenwärtige Mangel oder die Bedürftigkeit der Menschen ist zu bewältigen, sagt sie. Was mir wirklich ein Problem macht, ist die Sicherheitslage. Du weißt nie, ob du jemanden für den Tag oder für immer verabschiedest. Obwohl sich die Lage seit letztem Jahr verbessert hat, läufst du immer Gefahr in das Kreuzfeuer einer Schießerei zu kommen oder bei einer Explosion zu sterben. Unbeteiligt, unschuldig." Der Zorn in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Ich verstehe sie. Fast jede Familie hat hier jemanden an den Krieg verloren; An den Zorn junger Männer, an das Machtstreben der Clans und an fragwürdige Ziele und Ideologien.

"Auch die Klinik hat gefährliche Zeiten durchlebt. Die Kämpfe kamen bis zu uns und wir haben Leute verloren.  Doch der Klinikbetrieb hat während des Krieges nicht einen Tag ausgesetzt. Wir konnten doch nicht gehen, während die Menschen uns gebraucht haben", meint Klinikleiter Mohamed. Er sagt das ganz ohne Heldenethos. Ganz ohne Jammern. Für ihn und sein Team ist es selbstverständlich. "Diese Straße, die Du hier siehst, ist der einzige Weg zur Klinik, aber leider auch eine wichtige Straße für die Kämpfer aller Seiten. Es kommt vor, dass über Nacht Minen gelegt werden. Wir können nichts dagegen tun."

Es gibt keinen Schutzraum? Das muss sich ändern!

Während er mir das alles berichtet, frage ich nach einem Schutzraum. Wenigstens einen für den Operationssaal. "Es gibt keinen", antwortet er schlicht. "Die Klinik war nie daraus ausgelegt, eine Dauereinrichtung in Kriegszeiten zu sein. Auch bei der aktuellen Renovierung ist keiner vorgesehen. Wir mussten sparen." Ich bin entsetzt und verspreche mich dafür einzusetzen, die notwendigen Gelder aufzutreiben. Ein Bunker oder Schutzraum ist hier kein Luxus, sondern eine simple Notwendigkeit.

Die SOS-Klinik wird derzeit saniert. Auch ein Schutzraum wird dringend gebraucht, in dem Patienten und Klinik-Mitarbeiter bei Gefahr Zuflucht finden.

Mohamed sieht meine Sorge und fügt hinzu: "Gut ist, dass alle hier, und das sind auch die kämpfenden Parteien, die "Sauce Klinik" als etwas Positives und Notwendiges sehen. Deshalb werden wir beschützt. Es gibt in der Regel keine Angriffe direkt gegen uns."

Stück für Stück begreife ich, was es bedeutet in Somalia zu leben. Oder mehr zu überleben.
Der Chef des Sicherheitsteams deutet auf seine Uhr. Ein unmissverständliches Zeichen. Wir müssen gehen. Länger als zwei Stunden können sie vor Ort nicht für meine Sicherheit garantieren – und meine Anwesenheit würde dann auch das Klinikteam und ihre Patienten in Gefahr bringen.

Ziviler Widerstand

Die Arbeitsbelastung des Ärzte- und Schwesternteams ist extrem, trotzdem sind sie mit dem Herzen dabei.

Während der Wagen wieder über die sandigen Straßen zurück in mein "Friedensnest" holpert, fällt mir der Traum des jungen somalischen Hotelmanagers wieder ein: "Wir haben hier die schönsten und längsten Strände Afrikas. Ich werde dort ein Touristenhotel bauen." Wie kann man von einem Hotel am Strand mitten im Krieg träumen? Ein anderer arbeitet mit Überzeugung an dem Aufbau eines Sozialsystems für Kinder nach europäischem Vorbild, während um ihn herum noch immer das Chaos und extreme Armut herrschen. Er ist der Leiter der somalischen SOS-Kinderdörfer, Abdikadir Dakane. Diese Menschen geben Grund zur Hoffnung. Sie haben Träume, Visionen und einen unbesiegbaren Willen. Durch sie sind kleine Schritte in Richtung Frieden möglich. Sie kämpfen um ihre Selbstachtung. Auch nach dreißig Jahren Krieg und Katastrophen sehen sie positiv in die Zukunft. Sie sind der Grund dafür, dass ich an den Sinn unserer Arbeit glaube.

Nachtrag: Zwei Tage nach meiner Abreise wurde direkt neben unserem Büro eine deutsche Krankenschwester des Roten Kreuzes/Halbmondes entführt. Sie ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

 

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