So lange ist die 21-jährige Genet zu Fuß durch Äthiopien geflohen, vor Krieg und Gewalt. Warum? Weil sie weiter studieren will. In diesem Interview berichtet sie, was ihr hilft, die Traumata zu überwinden.
Was hast du vor dem Bürgerkrieg gemacht?
Ich bin im SOS-Kinderdorf Mekele aufgewachsen. Ich war dort im Kinder- und dann Jugendparlament, habe oft Vorträge gehalten und Meetings geleitet. Ich habe ziemlich gut Fußball gespielt. Und dann wurde ich ausgewählt, am College der SOS-Kinderdörfer in Ghana zu studieren.
Und dann?
Ich war gerade in den Semesterferien in meiner Heimat Äthiopien, als der Bürgerkrieg ausbrach. Alles war plötzlich gefährlich, man konnte das Gebiet nicht mehr verlassen, überall wurde geschossen. Ich konnte nicht zurück aufs College. Ich war verzweifelt. Am schlimmsten war für mich, diese selbstverständliche Normalität zu verlieren, den Alltag unter Freunden und Familie. Das College war mein Anker, meine ganze Hoffnung. Also lief ich los, in Richtung der Hauptstadt Addis Abeba.
Kannst du erzählen, wie deine Flucht verlaufen ist?
Irgendwann einmal kann ich das vielleicht erzählen. Zurzeit spreche ich nur mit Teresa Ngigi darüber, einer Psychologin der SOS-Kinderdörfer.
Wo bist du gerade?
Ich studiere nachhaltige Landwirtschaft in Deutschland, in einer kleinen Stadt an einer kleinen Fachhochschule. Wir sind nur 13 Student:innen. Der Stundenplan ist durchgetaktet, ich mache Praktika auf Bauernhöfen, fahre dort mit kleinen Traktoren, melke die Kühe drei Mal am Tag. Vielleicht ziehe ich im nächsten Semester vom Studenten-Wohnheim auf den Bauernhof, bei dem ich gerade arbeite. Sie vermieten Zimmer an Student:innen.
Warum Landwirtschaft?
Landwirtschaft ist unsere Lebensgrundlage, unsere Lebensversicherung! Wir brauchen Essen, keine Bomben.
Was gibt dir Kraft?
Hoffnung! Hoffnung motiviert mich. Und der Gedanke, dass ich meine Zukunft gestalten kann, gibt mir Kraft. Mein Leben hat einen tieferen Sinn, der stärker ist als all die Schwierigkeiten und das Unglück, das mir begegnet ist. Ich lache gerne, es ist sozusagen meine Mission, Gelegenheiten zu suchen, zu schaffen, bei denen ich lachen kann. Trotzdem mir die Welt so viel Anlass gibt, zu weinen.
"Wir brauchen Essen, keine Bomben."