Wenn Kinder für ihre kranken Eltern sorgen müssen

Amara und Fana aus Äthiopien pflegen seit drei Jahren ihre hilfsbedürftige Mutter. Die umgekehrte Rollenverteilung führt dazu, dass an eine unbeschwerte Kindheit nicht zu denken ist. Das Familienstärkungsprogramm der SOS-Kinderdörfer leistet einen Beitrag, die Belastung abzufedern.

"Vor dem Krieg mussten wir uns nicht so sehr um Mutter sorgen", sagt die 18-jährige Amara. Sie lebt mit ihrer 15-jährigen Schwester und der Mutter in Mekelle in der Region Tigray, im Norden Äthiopiens. Die Familie ereilten viele Schicksalsschläge: Erst starb der Vater, bald darauf bekam Alem, die Mutter, mehrere chronische Krankheiten.

Und 2020 brach der Bürgerkrieg in Tigray aus. Wie tausende andere Menschen in der Region litt auch Alems Familie Hunger wegen der Lebensmittelblockaden. Die Medikamentenversorgung war unterbrochen. Das kleine Café der Familie fiel Plünderungen zum Opfer. Bei der chronisch kranken Alem, ohnehin vulnerabler als andere, führte das zum mentalen Zusammenbruch und zur Blindheit. Der Bürgerkrieg endete im Winter 2022. Alems Depressionen und ihre Angststörung aber blieben.

Kinder in der Rolle von Erwachsenen

Seit drei Jahren braucht die 45-Jährige rund um die Uhr Betreuung. Ihr Zustand hat ihre Töchter in die Rolle von Pflegerinnen und Haushälterinnen getrieben. Für zwei junge Mädchen viel zu viel Verantwortung, eine übermäßige emotionale Belastung. Doch Amara und Fana wollen bei ihrer Mutter bleiben.

Berhane Hagos, Mental-Health-Koordinator des SOS-Kinderdorf Mekelle, sagt: "Kinder sollten für Erwachsene nicht die Verantwortung übernehmen müssen. Da die drei aber innig verbunden sind, können wir die Familie nur so gut wie möglich psychosozial unterstützen. Auch, damit die Mädchen ihren Herzen mal Luft machen können." Welche langfristigen Folgen die Rollenumkehr auf Fanas und Amaras Entwicklung hat, vermag Hagos nicht abzuschätzen. Unabdingbar sei, dass sie weiterhin psychosozial begleitet werden.

Vor dem Krieg, berichten die Mädchen, waren sie gute Schülerinnen. Fana sagt: "Heute kann ich mich schlecht konzentrieren, weil meine Gedanken immer um Mama kreisen." Und Amara fügt hinzu: "Früher wollte ich studieren, jetzt aber weiß ich, ich muss möglichst schnell einen Beruf zum Geldverdienen ergreifen, damit ich für uns drei sorgen kann." Doch auch hier ist das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen – oft erleben wir in unseren SOS-Kinderdorf-Programmen, wie sich die Dinge auch überraschend zum Besseren wenden.