Ebola: In der Quarantänezone

Sierra Leone: Waisen brauchen dringend Hilfe

Während er ein Hilfsprogramm für hunderte Ebola-Waisen organisiert, geht Sierra Leones SOS-Direktor Emmanuel Woode in die Quarantänezonen und Übergangsheime. Was er dort sieht und erlebt, ist erschütternd.


Mustapha (13) verlor beide Eltern durch Ebola und lebt nun mit ihren sieben Geschwistern in der Obhut einer Sozialarbeiterin in Kenema. Foto: Daniel van Moll/laif

Ein Militär-Checkpoint und eine Straßensperre isolieren die Menschen der Aruna Street in Kenema von den restlichen Bewohnern der Gegend. Die westafrikanische Stadt ist eine der vom Ebola-Virus am schwersten betroffenen Gebiete in Sierra Leone. Der Leiter der SOS-Kinderdörfer in Sierra Leone, Emmanuel Woode, zeigt den Soldaten seinen vom Gesundheitsministerium ausgestellten Ausweis. Ohne den darf niemand die Absperrung passieren.

Einfache Lehmhäuser ohne Strom, Wasser und Fenster säumen die Aruna Street Nr. 1-7 in Kenema. Heute ist es sehr ruhig auf der einst lebendigen Straße. Ebola hat hier grausam gewütet. Innerhalb von zwei Wochen raffte die Seuche 36 der früheren Bewohner des Straßenzugs hinweg. Darunter 12 Kinder. "Kinder, die überlebten, haben entweder einen oder gleich beide Elternteile und Geschwister an die Seuche verloren", berichtet Woode.

"Ebola ist wie ein Fluch über uns gekommen"

Doch auch im Epizentrum der tödlichen Seuche gibt es Mitgefühl. Regina, die Schwester einer der verstorbenen Mütter in der Aruna Street, hat neun der Waisen in Haus Nummer 7 versammelt und kümmert sich um sie. "Ebola ist wie ein Fluch über uns gekommen. Als ich gesehen habe, dass die Kinder allein in den Häusern lebten, musste ich einfach helfen", sagt sie. Zusammen mit ihren eigenen zwei Kindern zog sie deshalb vor kurzem in das Haus.

Ein solcher Akt der Menschlichkeit ist in Sierra Leone nicht mehr selbstverständlich. "Vor dem Ebola-Ausbruch  haben die Familien zusammengehalten", sagt SOS-Leiter Woode. Jetzt haben sie Angst sich anzustecken oder haben schlicht nicht die Mittel weitere hungrige Mäuler zu versorgen."

Die Mutter stirbt, der Junge und sein Vater überleben


Regina (5.v.l.) ist Krankenschwester und kam um zu helfen. Sie kümmert sich nun um die neun Waisen der Saffa Familie, deren Eltern durch Ebola ums Leben kamen. Foto: Daniel van Moll/laif

Als Woode das erste Mal in die Aruna Street kam, schliefen die Kinder auf dem Fußboden. Matratzen gab es keine. Nahrungsmittel waren knapp. Schon vor der Epidemie waren die Menschen extrem arm gewesen. Nun sind sie oft völlig mittellos. Umgehend versprach Woode Hilfe. Er besorgte Matratzen und unterstützt seither Regina und die elf Kinder mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln.

Angefangen hatte alles in Haus Nummer 1 bei Amadu Aruna. Sein Vater gab der Straße den Namen. Als die Ebola-Seuche über Kenema hereinbricht, schickt Aruna seinen Sohn zur Oma aufs Land. Doch der Kleine will wieder heim. Kurz nach seiner Rückkehr zeigt er die ersten Symptome einer Ebola-Infektion. Dann erkranken seine Eltern. Die Mutter stirbt. Der Junge und sein Vater überleben die Infektion. Aber die Krankheit breitet sich aus – auch unter den Nachbarn. Tragische Geschichten wie diese gibt es in fast jeder Stadt in Sierra Leone zu erzählen.

Viele Ebola-Waisen leben vom Müll auf der Straße

Seit Monaten reist der Leiter der SOS-Kinderdörfer durch das Land auf der Suche nach Ebola-Waisen. Über 4000 soll es schon in den drei betroffenen Ländern geben. Und im Gegensatz zu Reginas Beispiel werden die Waisen oft verstoßen, sind stigmatisiert.  "Die Menschen haben Angst", erklärt Woode. "Sich um Kinder zu kümmern, deren Eltern an Ebola verstarben, stellt ein potentielles Todesurteil dar."

Die Waisen leben dann einzeln oder in Gruppen auf der Straße. Ernähren sich von dem, was sie im Müll finden oder von den Brocken, die man ihnen zuwirft. Auch in den Ebola-Zentren sind viele Waisen. "Sie haben wenigstens Nahrung und Kleidung", sagt Woode. "Aber in den Zentren sind nicht genug Helfer, die sich adäquat um die besonders schutzbedürftigen Kinder kümmern können."

SOS-Hilfe für 2700 Ebola-Waisen


In einem Übergangsheim: SOS-Leiter Emmanuel Woode mit einem Waisenkind. Foto: SOS

Die SOS-Kinderdörfer kümmern sich um Ebola-Waisen: Rund 2700 wird die Hilfsorganisation in den drei betroffenen Ländern unterstützen. In Familien, wie bei Regina in Kenema. Oder in den Ebola-Zentren, wo Kinderschutzzonen eingerichtet werden. Solange, bis die Kinder gefahrlos weitervermittelt werden können. Entweder zu noch lebenden Verwandten, oder langfristig in Kinderdörfern ein Zuhause finden. "Derzeit können wir die SOS-Kinderdörfer nicht für die Ebola-Waisen öffnen", erklärt Woode. "Damit würden wir die Kinder in den Dörfern gefährden. Die Kinderdörfer sind seit Ausbruch der Epidemie abgeriegelt. Keiner kommt herein oder heraus."

Seit Ausbruch des Virus sind in Sierra Leone, Liberia und Guinea 15.935 Menschen erkrankt und 5.689 an Ebola gestorben, erklärt der letzte WHO-Bericht nüchtern. Allein in der letzten Woche wurden rund 600 Neuerkrankungen registriert. Obwohl die Infektionszahlen in Liberia und Guinea sinken oder wenigstens stagnieren, geht das Sterben weiter. Freetown, die Hauptstadt Sierra Leones, ist zum neuen Ebola-Hot-Spot geworden mit immer weiter steigenden Infektionsraten. Ein Millionen-Moloch wie Freetown zu isolieren ist schwer. Zuletzt haben Beerdigungsteams an einem Tag zwölf Leichen allein in der Hauptstadt geborgen. Das ist die offizielle Zahl. Wie hoch die Dunkelziffern sind, wagt niemand zu sagen. Auch die WHO beklagt, dass nur rund 25 Prozent der notwendigen Beerdigungsteams in Sierra Leone und Liberia vorhanden sind und weit weniger also 70 Prozent der Infizierten isoliert werden konnten.

"Wie erkläre ich einer Mutter, ihr krankes Kind nicht zu berühren?"

Für Woode und seine SOS-Kollegen ist es ein Kampf gegen Windmühlen. "Natürlich kann ich meine Mitarbeiter sensibilisieren – ‚Don‘t touch – Nicht anfassen!‘ – ist oberstes Gebot. Das funktioniert. Bislang ist auch in deren Familien niemand erkrankt. Aber wie erkläre ich einer Mutter, ihr krankes Kind nicht zu berühren? Das ist unmöglich!", sagt der Direktor. So bleibt besonders die Müttersterblichkeit hoch.
Doch es gibt auch Erfolge. Durch Aufklärung, Erfahrung und verbesserte medizinische Versorgung steigen in Guinea, Liberia und auch in Sierra Leone die Zahlen der Überlebenden. Sie sind fortan immun gegen das Virus. "Diese Menschen versuchen wir als Betreuer für die Waisen in den Quarantäne- und Interimsunterkünften zu gewinnen", sagte Woode.

Sozialarbeiter finden zwei verwaiste Kinder


David (6) und Mohammed (11) haben vor einer Woche beide Eltern verloren. Seitdem leben sie in einem sogenannten Interim Care Center. Foto: Daniel van Moll/laif

Ein rotes Absperrband flattert in Kenema im Wind. Es soll die Nachbarn vom Haus des 11-jährigen Mohamed und seines kleinen Bruders David auf Abstand halten. Die beiden Jungen wurden von Sozialarbeitern in dem Haus der Familie entdeckt und in die Ebola-Quarantänestation gebracht, wo sie 21 Tage unter Beobachtung stehen werden. Tagelang  hatten die Kinder allein in der verseuchten Hütte gewohnt, nachdem ihre Eltern von einem Ebola-Team abgeholt wurden und starben. Warum sie nicht aufzufinden waren, als die Ambulanz vor Ort war, ist unklar. Vermutlich schickte die Mutter sie fort, bevor sie abgeholt wurde.

Ob die beiden Jungen eine Zukunft haben werden, zeigen die nächsten paar Tage. "Überleben sie, finden wir für sie ein neues Zuhause – entweder bei Verwandten oder später im SOS-Kinderdorf", verspricht Woode.

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