02. April 2023 | NEWS

Äthiopien nach dem Bürgerkrieg: Kinder leiden unter schweren Traumata

Psychologische Hilfe wichtigste Investition in den Frieden

Der Bürgerkrieg im Norden Äthiopiens gilt als einer der tödlichsten Konflikte der jüngsten Zeit. Fünf Monate nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zeigt sich nach Angaben der SOS-Kinderdörfer: Ein Großteil der Kinder sowie Erwachsenen leidet unter Traumata.

Nothilfe der SOS-Kinderdörfer in Äthiopien

Teresa Ngigi, Chefpsychologin der SOS-Kinderdörfer, hat als eine der ersten Psycholog:innen die Region Tigray nach dem Krieg besucht. Sie sagt: "Es sind Horrorgeschichten, die die Menschen erzählen. Frauen, auch junge Mädchen, berichten von furchtbaren Vergewaltigungen. Sie fühlen sich ihrer Würde und Menschlichkeit beraubt. Ein Vater erzählte mir von seinem dreijährigen Sohn, der in permanenter Anspannung ist und bei jedem Flugzeug oder lautem Geräusch denkt, dass der Krieg wieder beginnt. Fast jeder hier hat Angehörige verloren. Auch viele Erwachsene sind immer noch im Schock, viele sind wütend. Sie trauen dem Frieden nicht."

Über zwei Millionen Menschen auf Flucht

Über zwei Jahre lang hatten die Truppen der "Volksbefreiungsfront von Tigray" und der äthiopischen Regierung gegeneinander gekämpft. Es ging um Macht und Besitzansprüche. Über 600.000 Menschen wurden getötet, mindestens zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Beobachter der Vereinten Nationen berichten von Kriegsverbrechen. Über lange Zeit war die Region fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten, es mangelte an Lebensmitteln, Medizin, Brennstoff. Auch die Kommunikationswege wurden gekappt. Ngigi sagt: "Die Menschen fühlten sich verlassen. Sie hatten das Gefühl, dass es der Welt egal sei, ob sie leben oder sterben."

Psychologische Hilfe immens wichtig

Neben materieller Hilfe brauche es jetzt vor allem psychologische Unterstützung. "Andernfalls werden die Traumata und die Wut mit großer Wahrscheinlichkeit an die nächste Generation weitergegeben. Dann können wir damit rechnen, dass in zehn bis 15 Jahren der Krieg von vorne beginnt. Das müssen wir verhindern!", sagt Ngigi. Während ihres Aufenthalts hat sie mit Kindern, Müttern und Mitarbeitern der SOS-Kinderdörfer gearbeitet und ihnen Techniken gezeigt, um mit ihrem Trauma umzugehen, Resilienz und Selbstfürsorge zu stärken. Sie sagt: "Schon nach wenigen Tagen war Veränderung spürbar. Viele Menschen konnten die unheilvolle Dynamik von Traumata erkennen. Manche kamen zu mir und sagten, dass sie sich freier fühlen, nicht mehr so verbittert und dass sie angefangen haben zu vergeben."

Psychologische Hilfe sei in großem Maße nötig – auch Schüler und Lehrer müssen unterstützt und vorbereitet werden, wenn sie wieder mit der Schule beginnen. "Sie können nicht einfach da anknüpfen, wo sie irgendwann aufgehört haben. Dazwischen liegt ein Krieg." Ngigi sagt: "Die psychologische Unterstützung, die wir jetzt leisten, ist die vielleicht wichtigste Investition in einen langfristigen Frieden."

SOS-Kinderdörfer in Äthiopien

Die SOS-Kinderdörfer unterstützen Kinder und Familien in Äthiopien seit Jahrzehnten. Verlassene Kinder bekommen wieder ein Zuhause, Familien werden dabei unterstützt, Not und Armut hinter sich zu lassen.

Lesen Sie hier das ganze Interview mit Teresa Ngigi, Chefpsychologin der SOS-Kinderdörfer.

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