04. Februar 2022 | NEWS

Donbass-Konflikt

"Wir werden nicht aufhören, Kindern zu helfen!"

Nach dem Rückgang der Kampfhandlungen in den vergangenen Jahren, wuchs in vielen Menschen in Luhansk die Hoffnung auf Frieden. Doch nun droht eine erneute Eskalation des Krieges, die das Leben von 2,9 Millionen Menschen – darunter 430.000 Kinder – bedroht. Im Interview berichtet der Leiter der SOS-Kinderdörfer in der Ukraine, Serhii Lukashov, von der Lage vor Ort.

Wie gehen die Menschen in der Ostukraine mit den aktuellen Geschehnissen um?

Lukashov: "So gelassen wie es in solch einer Ausnahmesituation eben möglich ist. Die wenigsten Menschen bereiten sich auf eine Flucht vor, die meisten wollen bleiben: Als 2014 alles anfing, gerieten wir noch in Panik, aber nun sagen die Leute: 'Es gibt ständig Schüsse, Gerüchte, Angst. Das ist alles schrecklich, aber wir können nicht immer in Panik geraten.' Sie leben schon ziemlich lange in diesem Zustand. Sie mussten sich eine dicke Haut zulegen, um tagtäglich weitermachen zu können."

Eine solche Schutzhaltung über Jahre hinweg einzunehmen, muss sehr anstrengend sein. Geht das spurlos an den Menschen vorbei?

"Natürlich nicht. Aber diese Haltung ist einerseits notwendig, um irgendwie einen Alltag in einem Krisengebiet bewältigen zu können. Anderseits ist sie auch besorgniserregend, weil sie ein Zeichen der emotionalen Erschöpfung der Personen sein könnte."

Erhalten die Menschen vor Ort psychologische Hilfe von den SOS-Kinderdörfern?

"Wir haben seit Jahren umfassende Hilfe für Kinder und Familien bereitgestellt, einschließlich pädagogischer und psychologischer Unterstützung."

Serhii Lukashov, Leiter SOS-Kinderdörfer Ukraine

 

Was wird in der momentanen Situation akut getan?

"Wir haben Notfallvorsorgemaßnahmen getroffen: Wir haben Lebensmittelpakete für jede SOS-Pflegefamilie und für die Familien unserer Mitarbeiter gesichert, falls der Ernstfall plötzlich eintritt und sie nicht rechtzeitig evakuiert werden können. So wären sie viele Tage mit Nahrung und Wasser zu Hause versorgt, bis sich die Situation beruhigt."

Wie geht es den Kindern in der Region?

"Für die Kinder im Donbass ist die Lage unzumutbar. Sie haben alles andere als eine normale Kindheit: Seit 2014 leben sie unter ständigem Stress und mussten viel Zeit isoliert von anderen Kindern verbringen. Dann kam 2020 noch die Corona-Pandemie dazu. Nun sind sie noch isolierter. Die gravierendste Auswirkung für die Kinder und Jugendlichen ist der Ausfall von Unterricht oder gar der Schulabbruch. Vor allem in kleinen Dörfern in abgelegenen Gegenden, wo es kein Internet und keine Notebooks gibt, ist das ein großes Problem, das unsere Gesellschaft viele Jahre lang betreffen wird, wenn diese Kinder mit großen Bildungslücken aufwachsen."

Die Kinder in den SOS-Programmen erhalten Nachholunterricht und konnten zudem mithilfe von Spenden mit Geräten und Material für den Fernunterricht ausgestattet werden. Aber nicht alle Kinder in der Region konnten versorgt werden. Was bedeutet das für sie?

"Sie stecken in einer schwierigen Situation: Wie soll ihre Zukunft aussehen? Ich bezweifle leider, dass sie das nachholen können, was sie an Unterricht verpasst haben. Ohne Bildung verlieren sie ihre Chance auf einen guten Beruf und ein eigenständiges Leben! Wir werden eine Generation von Kindern haben, die einen großen Teil ihrer Bildung nicht erhalten. Das ist ein großes, nationales Problem."

Selbst wenn keine erneuten Kampfhandlungen entfachen, leben die Menschen mit einem ständigen Risiko. Welche aktiven Gefahren lauern neben der latenten Angst noch?

"Minen können zum Beispiel jederzeit explodieren! Erst gestern haben mir meine Kollegen aus Luhansk erzählt, dass eines unserer Kinder ihnen gesagt hatte, dass es zusammen mit Freunden in den Wald gehen wollte. Doch da unsere Mitarbeiter vor der Minenverseuchung gewarnt hatten, ging es nicht mit. Einige der Freunde wurden wenig später durch Sprengstoff verletzt. Wenigstens wurde durch unsere Aufklärungsarbeit ein weiteres Kind geschützt. Es geht immer stetig weiter, Stück für Stück. Und wir werden nicht aufhören, den Kindern zu helfen!"

 

Lesen Sie hier weitere Informationen zum Thema:

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Erhalten Sie regelmäßig Informationen zu aktuellen Projekten.

Ihre Spende an die SOS-Kinderdörfer weltweit können Sie von der Steuer absetzen. Die SOS-Kinderdörfer weltweit sind als eingetragene gemeinnützige Organisation anerkannt und von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit. (Steuernummer 143/221/91910)