Das Nothilfeteam der SOS-Kinderdörfer erhielt für 30 Minuten Zugang zu den Menschen in der abgeriegelten Stadt Madaya. Über die Not hungernder Kinder und Familien berichtet SOS-Mitarbeiterin Abeer Pamuk, die mit vor Ort war.
Wie ist die Lage in Madaya?
Abeer Pamuk: Die Stadt ist wie ausgestorben. Es gibt keinen Strom. Den Kindern, die wir in den Häusern angetroffen haben, fehlte jegliche Energie zum Spielen. Sie sind ausgemergelt und blass, können nur langsam sprechen und kaum laufen. Sie zeigten deutliche Anzeichen von Mangel- und Unterernährung wie Hautkrankheiten, schlechte Zähne, Unterentwicklung. Besonders gefährlich ist die Lage für Babys. Ihren Müttern fehlt die Milch zum Stillen und die Säuglinge sind zu jung für alternative Nahrung. Mütter haben uns erzählt, dass sie ihren vor Hunger schreienden Kindern Schlafmittel geben, damit sie wenigstens für ein paar Stunden nicht leiden.
Wovon leben die Familien?
Abeer Pamuk: Aktuell können sie sich von den Hilfslieferungen ernähren, die vor zwei Tagen die Stadt erreichten. Das Problem ist aber, dass viele Menschen nach mehreren Tagen des Hungerns nicht mehr in der Lage sind, Nahrung aufzunehmen. Sie verhungern trotz Lebensmitteln, wenn sie keine ärztliche Hilfe bekommen.
Eine Mutter machte mir die Dramatik der Situation mit diesem Satz klar: "Mich interessiert nicht, was meine Kinder künftig werden. Ich will nur, dass sie den morgigen Tag überleben." Die Menschen leben von Gras, Blättern, Kräutern und Zuckerwasser. Die Wälder sind vermint, damit die Bewohner nicht aus der Stadt fliehen können. Viele Kinder wurden beim Sammeln von Nahrungsmitteln in den Wäldern durch diese Minen verletzt, manche getötet.
Warum ist es so schwierig zu helfen?
Abeer Pamuk: Es geht hier nicht nur um eine Stadt. Zwei Städte im Norden Syriens, Foua und Kafraya, sind ebenfalls von Kriegsparteien besetzt. Jede dieser Parteien agiert nach dem Prinzip: Lasst ihr unsere Familien hungern, hungern wir eure aus. Das heißt, dass das Schicksal der Menschen aus Madaya abhängig ist vom Schicksal der Bewohner von Kafraya und Foua und umgekehrt. Das bedeutet wiederum für Hilfsorganisationen wie die SOS-Kinderdörfer und den Roten Halbmond, dass wir mit allen Parteien gleichermaßen verhandeln müssen. Soll eine Hilfslieferung nach Madaya gelangen, müssen zur gleichen Zeit gleich viel Lebensmittel in Foua und Kafraya eintreffen. Mit der Evakuierung von Kindern verhält es sich nicht anders.