Sie verließ ihren Mann und brachte ihre fünf Kinder ins Kinderdorf: Eine Mutter erzählt, wie es dazu kam und was ihr bei der Zusammenarbeit mit dem SOS-Kinderdorf wichtig ist.
Die Probleme begannen 1990, kurz vor der Währungsreform. Mein Mann begann zu trinken, gab unser Geld für Alkohol aus und wurde immer wieder gewalttätig. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und verließ ihn. Unsere Kinder – es sind fünf - ließ ich bei ihrem Vater zurück. Mein Mann bat mich, zu ihm zurückzukehren. Erst flehte er und entschuldigte er sich, doch dann drohte er damit, den Kindern etwas anzutun. Ich zog also wieder zuhause ein, um die Kinder zu beschützen. Aber nichts hatte sich geändert.
Im Dezember 1994 zog ich in ein Frauenhaus. Ich erzählte den Sozialarbeitern, dass sie die Kinder so schnell wie möglich von ihrem Vater wegholen sollten. Drei kamen dann auch kurz vor Weihnachten ins Frauenhaus und die beiden kleinsten waren gerade im Krankenhaus.
Im Januar sprach ich zum ersten Mal mit einem Dorfleiter des SOS-Kinderdorfes. Er erklärte mir das SOS-Konzept und bot mir an, meine Kinder dort unterzubringen. Ich fand das Konzept sehr gut, denn meine Elternrechte wurden nicht aufgehoben. Damals dachte ich, dass ich eines Tages wieder alle Kinder bei mir haben könnte. Ich gab meine Erlaubnis, die Kinder in das Dorf zu bringen und sie zogen vom Frauenhaus direkt ins SOS-Kinderdorf um.
Sie haben es mir nie vorgeworfen, dass sie im SOS-Kinderdorf aufwachsen mussten
Es war sehr gut, dass sie in eine stabile Umgebung kamen. Die Kinder bekommen eine gute Ausbildung dort, sie haben eine Familie und sie können zusammen bleiben. Da die Kinder nun in Sicherheit waren, konnte ich endlich meinen Mann verlassen. Jetzt hatte er nichts mehr, womit er mir drohen konnte. Aber ich war sehr traurig, dass ich es nicht geschafft hatte, die Familie zusammen zu halten.
Als die Kinder ins Dorf einzogen, hielt ich mich zunächst zurück. Ich wollte mein Leben in Ordnung bringen und den Kindern eine Chance geben, sich mit ihrer neuen Umgebung anzufreunden. Ich wollte es ihnen nicht noch schwerer machen und auch für mich wäre es hart gewesen, die Kinder zu sehen und sie nicht mit nach Hause nehmen zu können. Später besuchte ich die Kinder dann einmal pro Monat und die Kinder wollten mich besuchen. Inzwischen waren mein neuer Ehemann und ich an Tuberkulose erkrankt und so konnte ich meine Kinder eine Zeit lang nicht sehen. Danach hatte ich häufigen Kontakt zu meinen Kindern. Sie hatten mich immer lieb und haben es mir nie vorgeworfen, dass sie im Kinderdorf aufwachsen mussten. Aber sie wollten immer nach Hause zurück.
Die Kinder haben alles, was ich ihnen nie hätte bieten können
Die Kleinen fragen mich immer, ob ich sie nicht mitnehmen kann. Ich habe eine sehr offene und ehrliche Beziehung zu ihnen. Meine Kinder können mir alles erzählen und mir ihre größten Probleme anvertrauen. Nur eine meiner Töchter hat sich mir entfremdet und das tut mir sehr leid.
Ich kann nicht behaupten, SOS hätte mich ignoriert oder die Kinder von mir fern gehalten. Ich wusste immer, was meine Kinder gerade machen. Es gab zwar einmal eine Phase, in der die SOS-Mutter Ausreden fand, warum mich die Kinder nicht besuchen durften. Alles in allem hat mich SOS immer über meine Kinder auf dem Laufenden gehalten. Aber mir schien, dass ich vor allem dann informiert wurde, wenn meine Kinder Schwierigkeiten machten. Ich musste immer nachhaken, wenn ich positive Nachrichten haben wollte und die wurden nicht so schnell übermittelt.
Im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden mit den SOS-Mitarbeitern und kann nichts Schlechtes über sie sagen. Ich hätte meine Kinder gerne mit nach Hause genommen. Aber ich habe es zu lange hinausgeschoben. Und später, als ich krank wurde, war ich zu schwach, um fünf Kinder groß zu ziehen. Deswegen sind auch meine jüngsten noch im Kinderdorf und das ist sehr traurig. Ich fühle mich schuldig, weil ich den Zeitpunkt verpasst habe, an dem es noch möglich war, die Kinder nach Hause zu holen. Aber ich bereue es nicht, dass ich sie ins SOS-Kinderdorf gebracht habe. Zumindest haben sie ein sicheres, stabiles Zuhause, sie gehen zur Schule, haben Hobbys, Reisen – kurzum, die Kinder haben alles, was ich ihnen nie hätte bieten können. Ich denke, es war die richtige Entscheidung.
Egal, ob wir zusammen sind oder nicht – meine Kinder existieren
Meine Älteste, mein Exmann und meine Schwiegermutter haben ihren Geburtstag im August und wir feierten immer alle zusammen in unserem Sommerhäuschen. Das war jedes Mal eine wunderschöne Zeit, die letzten warmen Tage, die Apfelbäume im Garten waren voller Äpfel und wir waren alle zusammen. Immer wenn ich denke, ich habe eigentlich keine Familie, dann erinnern mich diese August-Abende daran, dass ich zumindest irgendwo eine Familie habe.
Egal, ob wir zusammen sind oder nicht – meine Kinder existieren. Und es ist sehr wichtig für mich, dass meinen Kindern etwas an mir liegt und dass es ihnen wichtig ist, dass ich sie besuche. Manchmal ist es traurig, wenn mich die Kinder bitten, sie mit nach Hause zu nehmen, aber das gibt mir das Gefühl, dass die Kinder bei mir sein wollen und das ist ein gutes Gefühl.