Neugeborene sollten mindestens bis zum sechsten Lebensmonat ausschließlich mit Muttermilch versorgt werden. Das empfehlen sowohl Mediziner:innen wie Dr. Mohamed Dakane, Leiter der SOS-Mutter-Kind-Klinik in Somalia, als auch die Weltgesundheitsbehörde WHO. Letztere hat deshalb das globale Ziel ausgerufen, dass bis zum Jahr 2025 mindestens 50 Prozent aller Babys das erste halbe Jahr gestillt werden sollen. Außerdem sollten Säuglinge idealerweise innerhalb einer Stunde nach der Geburt bereits an die Brust gelegt werden.
Warum Mütter nicht stillen
In vielen Ländern ist das aus unterschiedlichen Gründen nicht der Fall: Einige Mütter möchten, andere können nicht stillen. Viele versuchen es zunächst, hören dann aber nach ein paar Wochen damit auf. "In einigen Ländern sind die Mütter körperlich nicht in der Lage, Milch zu produzieren, weil sie zu geschwächt und mangelernährt sind. Viele entwickeln auch eine Anämie während der Schwangerschaft", erklärt der Leiter der SOS-Mutter-Kind-Klinik in Somalia, Dr. Mohamed Dakane. Andere Gründe seien Ängste und fehlende Aufklärung. "Es gibt Mythen und Missverständnisse zum Thema Stillen: Einige Völkergruppen glauben beispielsweise, dass die Muttermilch schädlich für den Säugling sei, andere machen sich Sorgen, das Saugen könnte schmerzhaft sein oder die Brüste der Frau erschlaffen lassen", so Dr. Dakane. Auch wissen viele nicht, dass Stillen bereits kurz nach der Geburt möglich ist, und wie gesund es sowohl für das Neugeborene als auch die Mütter sei.
Vorteile des Stillens
Langzeitstudien zufolge litten Kinder, die von Geburt an für einige Monate oder länger gestillt wurden, seltener an Infektionen und hätten ein stärkeres Immunsystem. "Durchfallerkrankungen sind bei Babys, die nicht gestillt wurden, sehr häufig und bedeuten leider in einigen Ländern ihr Todesurteil", sagt Dr. Dakane. Rund 820.000 Kleinkinder könnten durch kontinuierliches Stillen jährlich vor dem Tod bewahrt werden. Die Versorgung mit Muttermilch ist vor allem in Regionen ohne ausreichendes, sauberes Trinkwasser eine sehr sichere Möglichkeit, um den Nachwuchs mit allem Lebenswichtigen zu versorgen. Auch die Mütter profitieren vom Stillen: Es reduziert unter anderem postnatale Depressionen sowie Kontraktionen in der Gebärmutter der Frauen, wodurch Nachblutungen verringert werden. Langfristig ist auch ihr Brust- und Eierstock-Krebsrisiko niedriger als bei nicht stillenden Müttern. Stillen reduziere außerdem die Gefahr, an Diabetes Typ II und Bluthochdruck zu erkranken oder einen Herzinfarkt zu erleiden. Auch die Mutter-Kind-Bindung werde gefördert.
Bessere Möglichkeiten für Mütter
Nicht nur in Entwicklungsländern bräuchten Frauen, die stillen möchten, mehr Unterstützung. Denn die meisten werdenden Mütter haben vor der Geburt den Wunsch, ihr Baby zu stillen. "Oft läuft es aber am Anfang nicht so, wie erhofft. Es treten Schmerzen oder Entzündungen an den Brustwarzen auf, die Milchproduktion setzt nicht oder nicht ausreichend ein, oder die Frauen sind körperlich und emotional zu geschwächt", sagt Dakane. All dies könne schnell dazu führen, dass die Mütter den Mut verlieren. "Die Lösung ist aber oft ganz einfach: Wenn Hebammen den Neu-Mamas sofort zeigen, wie die Babys richtig angelegt werden und worauf es sonst noch zu achten gilt, klappt es bei den meisten Frauen mit dem Stillen." So gäbe es in seiner Klinik in Somalia immer mehr Mütter, die von Anfang an stillen können und möchten. "Wir erläutern bereits vor der Geburt die vielen Vorteile des Stillens, zeigen ihnen Methoden und Möglichkeiten, um Probleme gegebenenfalls zu lösen. Die Resonanz ist positiv."
Stillen weltweit
Die von der WHO angestrebten 50 Prozent werden global noch nicht erreicht: Rund 40 Prozent der Neugeborenen weltweit werden mittlerweile ausschließlich mit Muttermilch versorgt in den ersten sechs Lebensmonaten. In Deutschland stillen 13 Prozent der Frauen ihr Kind bis zum Ende des sechsten Monats oder länger. Direkt nach der Geburt sind es fast 90 Prozent, die Muttermilch als Nahrung nutzen. In Österreich werden rund neun Prozent der Babys ein halbes Jahr ausschließlich gestillt. In asiatischen Ländern wie beispielsweise Bhutan, Sri Lanka oder Nepal werden zu Beginn fast alle, und auch nach einem halben Jahr noch 50 bis 80 Prozent der Babys gestillt.
Stillen am Arbeitsplatz
"Es steht jeder Frau frei, ob und wie lange sie stillen möchte. Allerdings ist es ein Problem, wenn der Arbeitgeber einer Mutter das Stillen nicht ermöglicht," sagt Boris Breyer, Pressesprecher der SOS-Kinderdörfer weltweit. Leider sei es nur in etwa einem Viertel aller Staaten gesetzlich geregelt, dass der Arbeitgeber stillfreundliche Räume und bezahlte Stillpausen zur Verfügung stellen müsse. "Es braucht bessere Gesetze für berufstätige Mütter, die stillen möchten. Und auch Kinder haben laut der UN-Kinderrechtskonvention ab der ersten Lebenssekunde ein Recht auf gesunde Ernährung", sagt Breyer.
Die Arbeit der SOS-Kinderdörfer
Etwa 45 Prozent aller Todesfälle von Kleinkindern werden mit Unterernährung in Verbindung gebracht. Frauen, die professionell von Hebammen begleitet und versorgt werden, haben ein rund 20 Prozent geringeres Risiko, ihr Kind zu verlieren. Deshalb sorgen die SOS-Kinderdörfer in ihren medizinischen Zentren sowie Hilfsprogrammen weltweit dafür, dass Schwangere, Mütter und Kinder bestmöglich aufgeklärt, betreut und versorgt werden. Es gibt zum Beispiel Ernährungsberatungen in afrikanischen Ländern wie Swasiland, Stillberatungen in Somaliland oder ambulante prä- und postnatale medizinische Versorgung für Frauen und Kinder in abgelegenen Regionen.