Ein drei viertel Jahr nach der verheerenden Tsunami-Flut: Die Katastrophengebiete in Indonesien liegen noch großenteils in Trümmern. Der Wiederaufbau ist noch längst nicht abgeschlossen. Gregor Nitihardjo, Nationaler Direktor von SOS-Kinderdorf Indonesien, berichtet über den aktuellen Stand der SOS-Nothilfe und die Probleme beim Wiederaufbau:
Wie sieht es in den vom Tsunami verwüsteten Gebieten acht Monate nach der Flut aus?
Gregor Nitihardjo: Der Tsunami hat in Sekunden alles zerstört, was die Menschen in vielen Jahren aufgebaut haben. An einigen Stellen hat der Wiederaufbau von Wohnhäusern und Schulen zwar begonnen. Aber dieser Wiederaufbau ist immer noch gering, im Vergleich zu den riesigen Verwüstungen. Viele Orte wurden ja völlig zerstört. Der Tsunami hat den gesamten Küstenstreifen weggeschwemmt - wo früher Land war, ist jetzt Meer. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die aufs Wasser deuteten und sagten: Dort stand mein Haus!
Unter welchen Bedingungen leben die Menschen?
Die meisten Menschen leben noch in Zelten oder Baracken. Die Trauer um tote Angehörige ist weiterhin allgegenwärtig. Viele haben alles verloren, auch ihre Lebensgrundlage. So sind überschwemmte Felder durch das Salz des Meerwassers unfruchtbar geworden. Es wird bis zu einem Jahr dauern, bis dort wieder etwas angebaut werden kann. Und viele Hilfsorganisationen, vor allem kleinere, haben leider die Region bereits wieder verlassen.
Wie kommt der Wiederaufbau durch das SOS-Nothilfeprogramm voran?
Wir konzentrieren uns derzeit auf den Hausbau. In der Stadt Meulaboh sind wir eine der wenigen Hilfsorganisationen, die frühzeitig mit dem Wiederaufbau begonnen haben. Insgesamt errichten wir 515 Familienhäuser bei Meulaboh und Banda Aceh. Unser Ziel ist es, vor Beginn des Monsuns im Herbst die meisten Häuser fertig zu stellen. Wir arbeiten auch bereits an den Plänen für drei neue SOS-Kinderdörfer auf Sumatra. Die Grundsteinlegungen sind hier für den Herbst geplant. Wir gehen jetzt auch daran, die Pläne für den Neubau von Schulen zu entwerfen: Sie werden in Mehrzweck-Gemeindezentren integriert sein, die ebenfalls von SOS-Kinderdorf errichtet werden. Der Hausbau hat aber im Moment Priorität.
Wie beurteilen Sie den Fortschritt beim Wiederaufbau in Indonesien insgesamt?
In einigen Gebieten können wir einen Fortschritt sehen, der aber meiner Meinung nach nicht so schnell voranschreitet wie etwa in Sri Lanka.
Was sind Gründe für die Verzögerungen?
In den ersten drei Monaten nach dem Tsunami wartete jeder darauf, dass die Regierung endlich einen Flächenwidmungsplan für den Wiederaufbau der betroffenen Gebiete herausgibt. Davor war es gar nicht möglich, an die Planung für den Wiederaufbau von Häuser heranzugehen. Und oft müssen die Menschen umgesiedelt werden, da man an den ursprünglichen Stellen keine Häuser mehr errichten kann. Außerdem will die Regierung, dass die Menschen künftig aus Sicherheitsgründen nicht mehr direkt am Meer wohnen. Das Problem dabei ist aber, genug geeignete, küstennahe Flächen zu finden. Es gibt zwar genug Flächen im Landesinneren, aber die Menschen wollen dort nicht leben, denn viele sind ja Fischer.
Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie sonst zu kämpfen?
Das Ausmaß des Wiederaufbaus ist einfach gewaltig. So ist manchmal das Trinkwasser salzig. An einigen Orten haben Hilfsorganisationen tiefere Brunnen gebohrt, so auch im Dorf Lambada Lhok bei Banda Aceh. Die Bohrung war dort 100 Meter tief, ein Kilometer von der See entfernt - und das Wasser war immer noch salzig. An anderen Stellen waren solche Bohrungen aber erfolgreich. Dann ist das Baumaterial nicht immer erhältlich. Wir legen großen Wert auf erstklassiges Material, schließlich handelt es sich um eine Erdbebenregion. Es gibt auch nicht genug Fachkräfte für den Wiederaufbau. Wir könnten zwar von der ganzen Welt Fachkräfte holen, die Menschen aus der Provinz Aceh wären dann aber nur Zuschauer. Das ist nicht das, was wir wollen.
Wie läuft das Bauprogramm der SOS-Kinderdörfer genau ab?
Wir arbeiten mit über 20 örtlichen Bauunternehmen zusammen. Mit ihnen haben wir vereinbart, dass sie die künftigen Bewohner der Häuser beim Aufbau mit einbeziehen. So helfen sie beim Bau beziehungsweise den Vorbereitungen mit oder geben uns Ratschläge für die Trinkwasserversorgung. Sonst würde der Bau von mehreren hundert Häusern auch zu lange dauern.
War es schwer, das Vertrauen der Bevölkerung für die SOS-Kinderdörfer zu gewinnen?
In den meisten Hilfsorganisationen sehen die Menschen vor allem Fremde. SOS-Kinderdorf Indonesien wird aber als eine indonesische Hilfsorganisation betrachtet. Denn dort sind nur indonesische Mitarbeiter tätig und unsere in Aceh eingesetzten Mitarbeiter sind größtenteils Moslems. Das ist wichtig, da die Menschen dort sehr religiös sind.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Regierung?
Der Gouverneur der Provinz Aceh unterstützt die Arbeit der SOS-Kinderdörfer. Die SOS-Kinderdörfer genießen für ihr Wiederaufbauprogramm große Anerkennung.