"Wenn ich mit Kindern zusammen bin, gibt mir das viel Leben und Freude. Dann fühle ich mich jung." Die Frau mit den funkelnden Augen unter dem Strohhut und dem ansteckenden Lachen weiß wovon sie redet. Sie hat 56 Kinder großgezogen. Nicht eigene, sondern Kinder aus Familien, die zerbrachen. Von Familien, wo Mutter oder Vater starben, oder wo die Eltern nicht mehr in der Lage waren, sich um die Kinder zu kümmern. Wegen Alkohol, Drogen oder anderer Gründe. Aber bei SOS-Mutter Maria Isabel Ramirez waren sie stets gut und liebevoll aufgehoben. "Manche haben eine Ausbildung gemacht, andere haben sogar einen Universitätsabschluss. Aus allen ist etwas geworden", sagt sie stolz.
Armutsstadt Huehuetoca
Das SOS-Kinderdorf in Huehuetoca liegt eine gute Autostunde nördlich von Mexiko-Stadt. Die Stadt ist eine der typischen Armutsstädte Mexikos. Durch die anhaltende Landflucht ist sie in den vergangenen zehn Jahren von 40.000 auf weit über 100.000 Menschen angewachsen - offiziell. Aber es können auch viel mehr sein. Alle sind auf der Suche nach Arbeit, nach ein bisschen Geld. Aber die Armut hat Huehuetoca fest im Griff. Und entsprechend hoch ist die Zahl der durch Armut bedingten Waisen oder Sozialwaisen.
Der Traum von der Großfamilie
Maria Isabel Ramirez selbst kommt aus einfachen, aber stabilen Verhältnissen. Der Vater, er hatte einen kleinen Laden für Früchte und Gemüse, kam mit dem Pferd, um seine Braut abzuholen. "Erst habe ich mir ein Haus gekauft, dann brachte ich meine ‚Täubchen‘ nach Hause", erzählte er später den Kindern. Maria Isabel wurde 1945 geboren, war die Jüngste von acht Geschwistern. Und als ein Bruder des Vaters starb, nahm die Familie auch noch die vier Kinder des Bruders auf. "Wir waren alle wie Geschwister", sagt Maria Isabel und lacht. "Wahrscheinlich wurde mir so meine spätere Berufung als SOS-Mutter schon fast in die Wiege gelegt."
Eine eigene Familie hat Maria Isabel nicht. "Irgendwie hat sich das nie ergeben", sagt sie und kichert erneut glockenhell. Sie war diejenige, die den Eltern half, als alle zwölf Geschwister aus dem Haus waren und die Eltern alt wurden. Und die sie pflegte, als sie gebrechlich wurden. Und als dann die Eltern nicht mehr waren, da war sie auch zu alt zum Heiraten. Aber zu alt für ihren Traum einer großen Familie war sie nicht. So entschloss sie sich, Mutter im SOS-Kinderdorf Huehuetoca zu werden.
Kinder halten jung
Diesen Traum lebte sie bis vor zwei Jahren, bis die wohlverdiente Rente winkte. "Ich habe 56 Kinder", sagt sie stolz. "Die Enkel kann ich gar nicht mehr zählen." Wie eine echte Mama wird sie häufig von ihren Kindern besucht. Aber das Leben als Rentnerin schmeckt der quirligen 67-Jährigen dennoch nicht. Regelmäßig geht sie ins Kinderdorf, um dort auf die Kinder der SOS-Mütter aufzupassen, wenn diese einmal etwas vorhaben. Oder sie liest den Kleinen etwas vor. Oder spielt mit ihnen. Im Dorf nennt sie daher jeder liebevoll "Abuelita Isabel" – Omi Isabel. Und diesen Namen trägt sie mit großer Freude. "Wenn ich mit Kindern zusammen bin, fühle ich mich jung", sagt sie noch einmal und kichert wie ein Teenager.