Kämpfe in den Straßen, tausende Menschen ohne Arbeit und Einkommen und die tägliche Sorge ums Überleben - all das prägt derzeit das Leben vieler Familien in Bethlehem im Westjordanland. Die SOS-Kinderdörfer unterstützen hier seit Jahren Familien in Notsituationen und setzen diese Hilfe auch aktuell so weit wie möglich fort. Basima (75), die sich um ihre beiden Enkel kümmert, erzählt wie der Krieg ihr Leben belastet.
Frühmorgens aufstehen, Frühstück herrichten, beim Anziehen helfen, den Haushalt machen, kochen, waschen und mit den Kindern lernen: Basima stemmt trotz ihres Alters täglich ein volles Pensum. Die 75-jährige versorgt ihren Sohn, der wegen einer Behinderung bei ihr lebt. Zusätzlich kümmert sie sich um ihre beiden Enkel, die sechs und zehn Jahre alt sind. Die Mutter der Kinder hatte die Familie vor Jahren verlassen, der Vater ist schwer an Krebs erkrankt. In ihrem Alter nochmals auf die Bedürfnisse von zwei Jungs eingehen zu können, fällt Basima nicht immer leicht. "Ich bin froh, dass sie sehr verständnisvoll sind. Sie nennen mich ‘Mama’. Wenn sie aus der Schule nach Hause kommen, sprechen wir über alles, was sie erlebt haben und essen gemeinsam", erzählt die Großmutter.
"Ich tue, was ich kann, damit ich die Kinder gut erziehe. Es bleibt mir nichts Anderes übrig, als weiterzumachen. Ich muss für die Kinder stark sein."
Angst ist ein ständiger Begleiter
Seit Kriegsbeginn haben sich die Kinder verändert. Es kommt immer wieder zu Offensiven und Angriffen. Das macht ihnen große Angst. "Sie sehen alles, es wird im Fernsehen darüber berichtet und in der Schule darüber gesprochen", erzählt Basima. "Manchmal beobachte ich, dass sich die Kinder im Schlaf an der Zudecke festkrallen. Sie fragen, ob in der Nacht Soldaten kommen werden. Sie haben so große Angst, dass sie nicht mehr allein zum kleinen Laden ein paar Häuser weiter gehen wollen, wenn wir etwas brauchen."
Die Enkelkinder erleben die Auswirkungen des Krieges hautnah. "Gestern gab es einen Angriff hier in Bethlehem und es sind Menschen gestorben. Deswegen gab es keinen Unterricht," berichtet der zehnjährige Hamdi. "Immer wenn es Angriffe gibt, werden wir nach Hause geschickt. Auf dem Schulweg habe ich immer Angst, ich habe so große Angst vor den Soldaten". Er berichtet, dass vor einiger Zeit Häuser direkt neben der Schule gestürmt und Personen mitgenommen wurden. Die Lehrkräfte haben die Kinder im Klassenzimmer eingesperrt, niemand durfte hinaus, solange die Schießereien anhielten. Erst nach quälenden Stunden der Ungewissheit für Kinder und Eltern konnten die Schülerinnen und Schüler nach Hause.
Kinder ohne Schutz
Hamdi möchte Kinderarzt werden, wenn er groß ist. Und er möchte in ein anderes Land gehen, wo er keine Angst haben muss. Der Vater seines Freundes ist jüngst nicht mehr nach Hause gekommen. Man fand heraus, dass er gefangen genommen und ins Gefängnis gebracht wurde.
"Wenn ich Angst habe, dann verstecke ich mich, wo mich niemand sehen kann. Wenn es jemand gäbe, der uns beschützen würde, dann würden wir uns sicher fühlen. Aber es ist niemand da."
Der Junge erzählt: “Meine Freunde und ich reden in der Schule über Soldaten. Wir haben keinen Frieden. Wir haben Angst um unsere Familie. Wie mein Freund, der seinen Vater verloren hat."
Seine Großmutter sagt, sie habe in ihrem Land schon viel erlebt, aber noch die so viel Angst und Unsicherheit wie jetzt. Ihrer eigenen Angst um ihr Leben begegnet sie mit Fatalismus: "Wenn Soldaten kommen und mich erschießen, dann ist das so. Was soll ich auch dagegen tun?" Sie versucht ihren Enkeln so viel Sicherheit wie möglich zu vermitteln. "Wenn die Kinder Angst haben, dürfen sie bei mir im Zimmer und in meinem Bett schlafen. Ich beruhige sie dann: die Fenster sind zu, die Tür ist zu, ich bin hier für Euch und passe auf Euch auf."
Unterstützung durch die SOS-Kinderdörfer
Zu den Ängsten kommen auch finanzielle Sorgen, denn Basima kann in ihrem Alter und zusätzlich zu ihren vielen Aufgaben nicht auch noch Geld verdienen. Früher erhielt die Familie einen kleinen Zuschuss vom Sozialamt, aber seit der Corona-Pandemie wurde auch dieser gestrichen. Die starke Frau versucht immer wieder, Unterstützung für ihre Enkel zu bekommen, doch ihre Anträge werden stets abgewiesen, da die Beiden keine Waisen sind.
Umso wichtiger ist daher die Unterstützung, welche die Familie seit rund drei Jahren durch die SOS-Kinderdörfer erhält: Lebensmittel, Kleidung, Schulmaterial oder Zuschüsse für Medikamente.
Alle sind jetzt arm
Seit Kriegsbeginn hat sich die wirtschaftliche Situation für alle Menschen in Palästina drastisch verschärft, auch für Basima und ihre Familie. "Ich weiß, dass mir die SOS-Kinderdörfer alles geben, was sie können. Vor dem Krieg bekamen wir auch Sachspenden oder praktische Hilfe durch Nachbarn und andere freiwillige Helfer:innen vermittelt. Doch jetzt muss jeder schauen, wie er seine eigene Familie über die Runden bekommt," erzählt sie. Geschätzte 700.000 Menschen im Westjordanland und im Gazastreifen haben ihren Job verloren. Viele weitere erhalten derzeit trotz Arbeit weniger oder gar kein Gehalt.
"Manchmal weiß ich nicht, wie wir genug zu essen bekommen, oder Schulsachen für die Kinder", berichtet Basima. "Durch die ständigen Sorgen bin ich häufig gestresst und habe nicht so viel Geduld für die Jungs. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Sie waren schon immer hoch hier, aber seit Kriegsbeginn ist alles noch teurer: Tomaten, Gurken, Kartoffeln, Nudeln usw.” Um die Familie mit Frischem zu versorgen, sammelt Basima hinter ihrem Haus und am Straßenrand Malvenblätter und Löwenzahn, aus denen sie mit etwas Öl Spinat zubereitet. "Es gibt kein Fleisch mehr dazu", sagt sie. “Manchmal bekommen wir Lebensmittel von einer 'Tafel' der Kirche."
Hilfe, um stark zu bleiben
Neben Unterstützung für das tägliche (Über-)leben erfährt Basima auch menschlichen Beistand durch die SOS-Kinderdörfer: Ihr älterer Enkel hat noch nicht verarbeitet, dass die Mutter die Familie verlassen hat. Daher halfen unsere Mitarbeiter:innen dabei, psychologische Unterstützung für den Jungen zu bekommen. Regelmäßig können die Kinder bei Aktivitäten des SOS-Kinderdorfes mitmachen, das stärkt die Familie, in der aktuellen Situation positiv zu bleiben. "Ich versuche aktiv zu bleiben, damit ich nicht krank werde", sagt Basima. "Es hilft mir, in Bewegung zu sein und nicht zu lange Pausen zu machen. Natürlich habe ich den Wunsch, mich auszuruhen, aber dann komme ich nicht mehr hoch."
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Die Fotografin Alea Horst hat im Rahmen eines Besuchs im SOS-Kinderdorf in Bethlehem Basima und ihre Familie getroffen und mit ihnen gesprochen.