Wieder vereint

Die Zwillinge Isabel und Cristina vermissten von klein auf ihre Mutter. Ihr alleinerziehender Vater liebte seine Töchter, war jedoch mit ihrer Betreuung überfordert. 2014 kamen die Mädchen deshalb ins SOS-Kinderdorf Los Jardines in der Dominikanischen Republik. Weil sich die Lebensumstände des Vaters zum Guten wendeten, konnten die Mädchen jetzt zu ihm zurückkehren.

Im letzten Sommer war mit einem Mal für Isabel und Cristina der Tag des Abschiednehmens und des Neuanfangs da. Die Teenagerinnen zogen vom SOS-Kinderdorf Los Jardines zurück zu ihrem Vater Heriberto und seiner neuen Familie. Dem vorausgegangen waren viele Gespräche, die SOS-Kinderdorf-Mitarbeitende mit Heriberto und seiner Partnerin führten, und eine sorgsame Prüfung des neuen Lebensumfelds der Zwillinge. „Maßgeblich für die Zusammenführung war auch, dass die emotionale Bindung zwischen Vater und Kindern während der letzten zehn Jahre immer eng geblieben ist“, sagt SOS-Kinderdorf-Sozialarbeiterin Alexandra Rivera, „und dass Heriberto nun eine Partnerin hat, die ihn unterstützt.“

Manchmal reicht Liebe allein nicht aus

Als Isabel und Cristina noch Kleinkinder waren, sah das anders aus: Ihre leibliche Mutter verließ den Vater bald nach ihrer Geburt. Heriberto, selbst fast noch ein Kind, musste sich von heute auf morgen allein um seine Töchter kümmern, noch dazu machte die kognitive Beeinträchtigung der Zwillinge einen intensiveren Betreuungsaufwand nötig. In der Dominikanischen Republik erhalten Eltern von Kindern mit Behinderung seitens staatlicher Institutionen wenig Unterstützung, in finanzieller wie praktischer Hinsicht. Der aus prekären Verhältnissen stammende Vater, der als Geringverdiener den familiären Lebensunterhalt stemmen musste, geriet irgendwann an den Rand seiner Kräfte. 2004 vermittelte dann ein Sozialarbeiter den Kontakt zum SOS-Kinderdorf.

Die Küche im Haus ihrer SOS-Kinderdorf-Mutter bleibt trotz allem ein Lebensmittelpunkt. Foto: Alea Horst

Die Kraft der mütterlichen Fürsorge

Anfangs blieben Isabel und Cristina nur tagsüber im SOS-Kinderdorf, bis sie schließlich ganz einzogen. Alexandra Rivera sagt: „Die Mädchen brauchten wegen ihrer Behinderung spezielle schulische und gesundheitliche Förderung, im SOS-Kinderdorf konnten wir ihnen das ermöglichen.“ Darüber hinaus hätten die Zwillinge damals sehr stark eine Mutterfigur gesucht, betont Rivera. Diese Rolle füllte dann SOS-Kinderdorf-Mutter Leonor Sanchez aus, nach ihrem Einzug war sie rund um die Uhr für die Mädchen da. „Isabel und Cristina sind richtig aufgeblüht, die unmittelbare Nähe zu anderen Kindern tat ihnen gut und förderte ihre Entwicklung“, sagt Leonor „wir haben aber auch schlimme Sachen durchgestanden: Cristina musste am Auge operiert werden, seitdem ist sie auf dem Auge beeinträchtigt. Bei Isabel wurde nach vielen beängstigenden Krampfanfällen Epilepsie festgestellt.“

Gemischte Gefühle auf allen Seiten

Als Leonor vom Tag des Auszugs der Zwillinge erzählt, kämpft sie mit den Tränen: „Ich war ja darauf vorbereitet, und natürlich weiß ich, dass die Mädchen ihren Vater lieben und zu ihm gehören, aber trotzdem konnte ich mich ganz schlecht trennen!“ Auch den Zwillingen fiel der Abschied nicht leicht. Heriberto sagt: „Mich hat das schlechte Gewissen geplagt, als die Mädchen beim Abschied von Leonor weinten. Da habe ich mir einmal mehr geschworen, dass ich mein Bestes geben werde! Familie – das bedeutet für mich Integrität, Vertrauen und Respekt.“ Heribertos Partnerin ist wichtig hinzuzufügen: „Aber die Tränen der Zwillinge sind rasch versiegt! Sie sind bei uns glücklich. Wir haben einen guten Draht zueinander und sie lieben ihre kleine Stiefschwester.“

Und was sagen Isabel und Cristina? Die Mädchen wirken in ihrem neuen Zuhause ganz gelöst, sind gleichzeitig scheu und albern und redselig, Teenagerinnen eben. Cristina will vielleicht bald in die Fußstapfen ihrer Stiefmutter treten und auch Nagel-Designerin werden. Isabel berichtet stolz, dass ihre kleine Stiefschwester sie immer daran erinnert, ihre Epilepsie-Medikamente einzunehmen. Dann sagt sie verhalten: "Manchmal vermissen wir Leonor schon, aber sie ist ja nicht weg, nur eben nicht bei uns zuhause."

Die Wiedervereinigung ist ein langer Prozess

Ihre SOS-Kinderdorf-Mutter leistet zusammen mit Sozialarbeitenden eine Art Hintergrunddienst während der Wiedereingliederungsphase der Zwillinge, die mit dem Einzug im väterlichen Haushalt nicht abgeschlossen ist. „Die Mädchen haben aufgrund ihrer Behinderung besondere Bedürfnisse“, erklärt Leonor, „es braucht Zeit, die zu erkennen und zu bedienen. Die Eltern müssen da reinwachsen und wir helfen ihnen dabei.“ In diesem Fall ist die Betreuung der Familie auf mindestens zwei Jahre angesetzt. Wobei jede Wiedervereinigung seitens der SOS-Kinderdörfer von einer Mischung aus kontinuierlichem Eltern-Coaching und sozialem Auffangnetz begleitet wird. „Wir sind von Anfang an darum bemüht, Kinder, die in unserer Obhut sind, wieder in ihre Herkunftsfamilien einzugliedern. Doch oft sind die Voraussetzungen für einen Neuanfang nicht gegeben“, resümiert Alexandra Rivera, „wir sind zuversichtlich, dass es bei Cristina und Isabel klappen wird.“

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