Hilfe für Kinder in Gambia
Unterstützen Sie die Arbeit der SOS-Kinderdörfer in Gambia - helfen Sie mit Ihrer Spende!
Kaum Wissen über Folgen und Gefahren
Und doch gibt es auch in Gambia Frauenrechtlerinnen, Ärzte und Hebammen, die genau das tun. Kaddy traf sie erstmals, als sie als 23-Jährige als Freiwillige in einem Krankenhaus arbeitete. Sie lernte dass die Beschneidungsnarben vielen Frauen während der Menstruation, beim Urinieren, beim Sex und bei der Geburt höllische Schmerzen bereiten, dass weltweit jedes Jahr Tausende Mädchen beim Eingriff verbluten oder Jahre später bei der Geburt an den Folgen sterben.
Da die meisten Beschneiderinnen über keinerlei medizinische Ausbildung verfügen, kaum Ahnung von weiblicher Anatomie und Hygiene haben und zudem oft dasselbe Messer oder dieselbe Rasierklinge verwenden, besteht zudem die große Gefahr, dass sie auf diese Weise HIV, Hepatitis und andere Krankheiten übertragen.
Sie hat das, was sie getan hat, nie hinterfragt
Kaddys Großtante will diese Einwände nicht gelten lassen. "Ich war eine berühmte Beschneiderin. Keines der Mädchen, das ich beschnitten habe, ist gestorben oder krank geworden. Die Leute hatten großen Respekt vor mir. Ich habe gut verdient", sagt Mariama vor ihrer Hütte in einem Dorf im Süden Gambias, das nur über eine holprige Piste zu erreichen ist. Vor fünf Jahren gab sie ihren Beruf nach über 50 Jahren auf. Unfreiwillig!
Kurz bevor ein neues Gesetz 2015 die weibliche Genitalverstümmelung in Gambia verbot, besuchte eine ehemaligen Beschneiderin die alte Frau. Sie kam in Begleitung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der SOS-Kinderdörfer. Gemeinsam erklärten sie Mariama, die nie lesen und schreiben gelernt hatte, welche verheerenden gesundheitlichen und psychischen Folgen eine Beschneidung haben kann und dass nirgendwo im Koran stehe, dass Mädchen beschnitten werden müssten.
Die alte Frau zu überzeugen, dass das, was sie mehr als die Hälfte ihres langen Lebens gemacht hatte, plötzlich falsch sein solle, war nicht einfach. Schon ihre Mutter und Großmutter hatten den lange hoch geachteten, wenn auch meist im Verborgenen betriebenen Beruf an sie weitergegeben. "Ich habe das, was ich getan habe, nie hinterfragt. Ich habe es getan, weil wir es immer getan haben. Unbeschnittene Frauen sind unrein und ihrem Mann oft nicht treu. Darum ist es immer noch schwer, eine unbeschnittene Tochter zu verheiraten", sagt sie überzeugt, während ihre Großnichte zuhört.
"Heute würde ich die Polizei rufen"
Als ihre Großtante sie vor gut 30 Jahren verstümmelte, spürte Kaddy neben höllischen Schmerzen auch eine ungeheure Wut auf Mariama, der sie bis dahin blind vertraut hatte. Heute hat Kaddy ihr vergeben. "Ich klage niemanden an. Was meine Großtante getan hat, hat sie in der Überzeugung getan, das Richtige zu tun. Sie wusste es einfach nicht besser", sagt die 39-Jährige, die heute als Sozialarbeiterin für die SOS-Kinderdörfer in Gambia arbeitet.
Um zu verhindern, dass Mariama aus materieller Not in ihren alten Beruf zurückkehrt, halfen die SOS-Kinderdörfer ihr dabei, heute als Salzverkäuferin auf dem Markt zu arbeiten. "Die Geschäfte laufen gut", sagt Mariama. Allerdings macht sie auch keinen Hehl daraus, dass sie das Gesetz für einen Fehler hält. Doch sie weiß auch, dass sie im Gefängnis landen könnte, wenn sie sich über das jetzt geltende Recht hinwegsetzen würde. Dafür würde ihre Großnichte sorgen.
Denn eins ist für Kaddy klar: "Würde sie wieder zur Rasierklinge greifen, würde ich die Polizei rufen. Es gibt jetzt keine Entschuldigung mehr. Sie weiß, dass es jetzt verboten ist."
Dieser Artikel erschien in der Passauer Neuen Presse im Rahmen der Weihnachtsaktion "Ein Licht im Advent" zugunsten der SOS-Kinderdörfer.