Zum Glück sind junge Menschen sehr resilient. Wir versuchen daher so schnell wie möglich mit ihnen zu arbeiten, wenn sie angekommen sind. Denn dann sinkt das Risiko, dass sie auf Grund ihrer Traumatisierung psychische Probleme entwickeln. Andererseits sind sie noch so jung. Sie haben Krieg erlebt. Sie sind alleine, weit weg von ihrer Familie, ohne Orientierungspunkt. Sie fühlen sich ängstlich und hoffnungslos und brauchen jemanden, dem sie vertrauen können. Aber Vertrauen ist ein Prozess, den man erst aufbauen muss.
Wo leben Minderjährige, die ohne Familie angekommen sind, und wie werden sie versorgt?
Im Moment leben die unbegleiteten Minderjährigen, mit denen wir arbeiten, im Flüchtlingslager – in einem Bereich, der eigentlich zur Durchreise und nicht zum Bleiben gedacht ist. Sie leben zu viert in einem kleinen Container. Vor 2020 gab es in Kalabrien noch viele Aufnahmezentren für Minderjährige – sowohl staatliche Einrichtungen als auch Notfallzentren. Während Covid-19 mussten fast alle geschlossen werden. Das ist auch der Grund, warum sie jetzt hier sind, weil es keine Auffanglager für sie gibt. Alle Beteiligten bemühen sich darum, ihren Aufenthalt im Bezirk zu legalisieren. Denn das ist kein Ort, an dem man bleiben sollte, vor allem nicht als junger Mensch. Das, was sie dort haben, gibt ihnen keinen Anreiz zum Träumen. Die Realität dort ist sehr hart.
Was brauchen die Menschen am dringendsten und wie kann ihnen geholfen werden?
Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Viele von ihnen haben nicht einmal Turnschuhe. Wenn sie an unseren Aktivitäten teilnehmen, müssen sie barfuß laufen. Denn mit ihren Flip-Flops besteht Gefahr, dass sie hinfallen. Sie brauchen einfach alles. Stellen Sie sich vor, Sie kommen an einen Ort, an dem Sie nicht sein wollen, wo die Menschen um Sie herum eine fremde Sprache sprechen, das Leben ganz anders ist, als Sie es gewohnt sind. Sie müssen wieder von vorne anfangen. Und dann ist da noch der familiäre Druck. Sie kämpfen zwischen zwei Realitäten: Was Sie für sich selbst und Ihre Zukunft wünschen, und was Sie Ihrer Familie zurückgeben müssen. Denn sie haben das Gefühl, dass sie die Erwartungen ihrer Familie erfüllen müssen, weil sie Geld bezahlt haben, um sie hierher zu schicken.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man den Menschen helfen kann. Unsere Arbeit dreht sich darum, wie sie ihr Selbst und ihre Lebenskompetenzen aufbauen können, denn das ist etwas, das sie mitnehmen können, auch wenn sie draußen sind. Es ist etwas, dass sie immer gebrauchen können. Es ist wie ein neues Gepäck, das ihnen helfen kann, sich der Welt zu stellen.