Katarina ist eine Überlebende häuslicher Gewalt. Foto: Michael Winkler

"Ich kämpfe für meine Kinder"

Der Bericht einer Überlebenden häuslicher Gewalt

Katarina ist eine starke Frau, liebevolle Mutter und fürsorgliche Tochter. Häusliche Gewalt hätte sie fast ihr Leben gekostet. Hier teilt sie ihre Geschichte.

Achtung: Der folgende Artikel thematisiert schwere häusliche Gewalt und könnte auf einige Leserinnen und Leser verstörend wirken. 

Mein Name ist Katarina Mitić. Ich bin eine 27-jährige alleinerziehende Mutter. Ich habe zwei Söhne, sechs und acht Jahre alt. Wir leben in einer Mietwohnung in der Gemeinde Gračanica in Kosovo.

Das Trauma

Vor sechs Jahren erlebte ich häusliche Gewalt durch meinen Ex-Mann. Er stach mir 17-mal in den rechten Arm und riss ihn mir fast ab. Ich kämpfte um mein Leben.

Ihre Kinder bedeuten ihr alles: Katarina konnte sich ein neues Leben mit ihren beiden Söhnen aufbauen. Foto: Michael Winkler

Während ich im Krankenhaus lag, waren meine Kinder bei meiner Mutter und meinem Vater. Ich stamme aus einer armen Familie aus dem Dorf Gornja Gušterica. Meine Kinder waren sehr verängstigt, insbesondere mein älterer Sohn, der die Messerstecherei gesehen hat.

Der Jüngere war damals gerade sechs Monate alt. Er lief nicht, er sprach nicht, er krabbelte nur. Als der Angriff geschah, habe ich noch gestillt. Durch das Trauma wurde die Muttermilch gestoppt.

Das Unfassbare ertragen

Als ich nach der Operation aufwachte, sagte ich, es ginge mir gut. Mit der Zeit fingen die Probleme an – die Kopfschmerzen, die Sehschwäche. Ich war jung. Ich war damals erst 20 Jahre alt. Ich dachte, das passiert nur an diesem Tag, nur in diesem Moment, und dann ist es vorbei. Meine Mutter sagte zu mir: 'Warte, es wird kommen.'

Und so war es auch. Zuerst kamen die Kopfschmerzen. Dann bekam ich mehr gesundheitliche Probleme. Dann kamen die Träume. Zuerst verdrängte ich das alles. Ich dachte nur an meine Kinder. Wer würde sich um sie kümmern, wenn ich nicht mehr da bin?

Ich wusste, dass meine Mutter und mein Vater da sein würden, genau wie an jenem Tag, genau wie während meines Krankenhausaufenthalts. Aber trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich da sein muss und dass sich niemand so um sie kümmern kann wie ich.

Heilung

Kurze Zeit später begann ich, psychische Probleme zu haben. Diese Träume... Ich wusste, dass ich einen Psychiater aufsuchen musste. Ich habe drei Jahre lang Medikamente genommen, wegen dieser Träume, wegen dem, was passiert ist.

Wenn ein Hund im Hof bellte, dachte ich: "Das ist er, er kommt." Ich hatte schreckliche Träume. Ich versuchte, die ganze Nacht wach zu bleiben. Wenn ich einschlief, wachte ich schweißgebadet und schreiend auf. Ich musste eine Therapie machen.

Für die Kinder

Als ich mit den SOS-Kinderdörfern in Kontakt trat, hatte ich keine Erwartungen. Ich wusste nicht, wer sie waren und ob ich Hilfe erwarten konnte. Ich war es gewohnt, keine Hilfe zu bekommen. Die Polizei hat mich völlig im Stich gelassen. Ich habe also nichts erwartet.

Suzana Kolic, Psychologin der SOS-Kinderdörfer, half Katarina und ihrem ältesten Sohn, die Gewalterfahrung zu verarbeiten. Foto: Michael Winkler

Die Sozialarbeiter der SOS-Kinderdörfer erklärten mir, dass sie Familien unterstützen, dass sie eine Psychologin und einen Pädagogen haben. Das war es, was mein älterer Sohn brauchte. Er war damals drei Jahre alt und hat das Trauma mit mir zusammen überlebt. Er hatte die gleichen Albträume.

Ich habe mit meinen Kindern und mit anderen Eltern die psychologischen Sitzungen und Frauengruppen besucht. Anfangs wollte mein älterer Sohn nicht mit der Psychologin allein bleiben. Er war angespannt und hatte große Angst vor Menschen. Er wollte nicht mit Fremden sprechen. Er behielt alles für sich. Er hat verstanden, was passiert ist, obwohl er damals erst drei Jahre alt war.

Anfangs redete er nur in meiner Gegenwart mit der Psychologin. Er wollte nicht, dass sein Vater erwähnt wird. Die Psychologin sagte mir, ich solle mit ihm offen sprechen über das, was passiert ist. Zuerst hat mein Sohn es nicht erlaubt und sagte: "Ich hasse ihn. Er hat auf meine Mutter eingestochen. Meine Mutter hat geblutet."

Für die Familie

Nach dem, was mir passiert ist, ging es meinem Vater psychisch nicht gut. Er war der erste, der nach dem Angriff das Haus betrat. Er musste mein Blut vom Boden aufwischen.

Nachdem ich mich erholt hatte, wurde mein Vater psychisch krank. Er wurde für etwa drei Monate in die Psychiatrie eingewiesen. Danach war er reizbar und ließ sich von den Kindern schnell aus der Ruhe bringen, wenn sie spielten. Ich verstand den Grund und sah, dass er Frieden brauchte. Ich musste gehen, damit er sich erholen konnte. Da beschloss ich, auszuziehen.

Ein neues Leben

Wir leben also seit drei Jahren hier. Die Kinder gehen hier zur Schule. Mein älterer Sohn ist entspannt. Er ist gut in der Schule. Der Jüngere wird jetzt in die erste Klasse gehen.

Als ich mit meinem Ex-Mann verheiratet war, hat er keinen Kontakt zu anderen Menschen zugelassen. Wenn mein älterer Sohn damals eine unbekannte Person sah, war er so verängstigt, er hatte wirklich Angst.

Unser Leben ist völlig anders als vor sechs Jahren, als es passierte. Jetzt haben die Kinder ihre eigenen Freundinnen und Freunde, sie wollen alleine rausgehen und spielen.

Mein älterer Sohn hat weniger Träume. Seine Albträume sind deutlich weniger geworden.

Heute ist die kleine Familie wieder glücklich – auch dank der Unterstützung ihres Sozialarbeiters Dusan Kitic. Foto: Michael Winkler

Unternehmerin im Werden

Ich begann mit der Maniküre, als ich noch bei meinen Eltern wohnte. Ich machte meine Nägel, die meiner Mutter und die meiner Schwester. Es gefiel mir wirklich, und ich war gut darin. Aber ich konnte es mir nicht leisten, das nötige Material zu kaufen.

Später, als ich in das Familienstärkungsprogramm der SOS-Kinderdörfer aufgenommen wurde, erzählte ich meinem Sozialarbeiter, dass ich als Nageltechnikerin arbeiten wollte. Er sagte, dass die SOS-Kinderdörfer Mikrokredite für Menschen wie mich vergeben. Er half mir, einen Antrag zu schreiben und es gelang mir, einen Mikrokredit zu erhalten.

Jetzt arbeite ich seit etwa einem Jahr zu Hause in einem kleinen Gästezimmer. Ich bin zufrieden. Es bedeutet mir sehr viel, dass ich zu Hause arbeiten kann, während meine Kinder spielen oder Hausaufgaben machen.

Dusan Kitic, Sozialarbeiter der SOS-Kinderdörfer, besucht Katarina und ihre Kinder regelmäßig, um über ihre Herausforderungen zu sprechen. Foto: Michael Winkler

Individuelle Unterstützung

Meine Zusammenarbeit mit den SOS-Kinderdörfern war vom ersten Tag an perfekt. Bei ihnen habe ich alles gefunden, was wir brauchten – eine Psychologin, einen Pädagogen, Fachleute, die mit mir und meinen Kindern arbeiten. Wir haben monatliche Hausbesuche mit unserem Sozialarbeiter, die wir nach Absprache vereinbaren.

Ich sage immer, und ich sage es öffentlich, dass die SOS-Kinderdörfer die einzige Organisation sind, die mir geholfen hat. Wir treffen uns, reden, sie geben uns auch Sachspenden wie Lebensmittel oder gebrauchte Kleidung.

Habt keine Angst!

Gott sei Dank ist jetzt alles in Ordnung, und ich lebe glücklich mit meinen Kindern. Ich habe das Trauma überlebt und mich wegen meiner Kinder durchgesetzt. Meine Kinder sind alles für mich. Sie richten mich auf. Ohne meine Kinder würde ich nicht eine Sekunde überleben.

Allen Frauen da draußen sage ich: Habt keine Angst! Habt keine Angst, allein auf die Straße oder in die Stadt zu gehen. Ihr solltet nicht unter häuslicher Gewalt leiden müssen.

Heute gehe ich mit erhobenem Haupt – ich gehe auf den Markt, ich gehe mit meinen Kindern spazieren, ich gehe durch die Stadt, ohne Angst zu haben.

Ich kämpfe für meine Kinder.

In der betreuten Frauengruppe der SOS-Kinderdörfer fand Katarina Anschluss zu anderen Frauen in ihrer Gemeinde. Sie teilen ihre Geschichten miteinander und feiern gemeinsam jeden kleinen und großen Fortschritt. Foto: Michael Winkler

 

Sie kennen Betroffene häuslicher Gewalt oder sind selbst betroffen?  

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" bietet Beratung an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr. Das deutschlandweite Angebot vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist anonym und kostenfrei.

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