In einem ruhigen Vorort von Athen haben die SOS-Kinderdörfer vor über zehn Jahren ein Übergangswohnen für Babys und Kleinkinder eröffnet. Die Kinder, die hierherkommen, wurden misshandelt und vernachlässigt und müssen meist per Notverordnung und so schnell wie möglich ihr Zuhause verlassen. Andreas Bozinis, Leiter des SOS-Baby-Centers, war von Anfang an dabei. Er erzählt, wie er und sein Team die Höhen und Tiefen der Kleinen meistern.
Herr Bozini, wissen Sie, was den Kindern zugestoßen ist, wenn sie zu Ihnen kommen?
Von manchen Familien existiert bereits eine Akte im Sozialdienst oder beim Jugendamt. Die Entscheidung, die Kinder aus der Obhut der Eltern zu nehmen ist nicht leicht, der Sozialdienst war meist schon in Kontakt mit den Familien und hat ihnen die Chance und Zeit gegeben, Dinge zu verbessern. Manchmal merkt auch eine Ärztin bei einem kleinen Patienten, dass etwas nicht stimmt. Dass die Verletzung des Kindes zum Beispiel nicht durch einen Unfall entstanden sein können, sondern das Kind wahrscheinlich misshandelt wurde. Dann kontaktiert sie das Jugendamt. Und das Jugendamt bringt die Kinder zu uns.
Wie reagieren die Eltern darauf, wenn sie ihre Kinder abgeben müssen?
Wir setzten alles daran, das Vertrauen der biologischen Familie zu gewinnen, was zu Beginn sehr schwierig ist. Sie sind meist aggressiv und unterscheiden nicht zwischen dem Sozialarbeiter, dem Krankenhauspersonal, mir, dem Team. Zunächst sind alle Feinde, die ihnen die Kinder weggenommen haben. Manchmal verstehen sie nicht, warum ihnen ihre Kinder weggenommen wurden. Sie begreifen den Ernst der Lage nicht, denken nicht, dass es so schlimm ist, was sie tun. Wir versuchen, es den Eltern zu erklären, wir wollen, dass die Kinder zurückkönnen. Das spüren die Eltern und vertrauen uns nach einiger Zeit.
In den meisten Fällen können die Kinder allerdings nicht zurück zu ihren Eltern. Wir arbeiten dann mit SOS-Familien zusammen, die Kinderdörfer übernehmen dann das Sorgerecht oder wir vertrauen die Kinder Pflegeeltern an. Wir führen keine Adoptionen durch, da wir nicht staatlich sind.
Die Kinder bleiben maximal 13 Monate hier. Warum ist das so?
Das Ziel ist, eine Familie für die Kinder zu finden oder sie mit ihrer biologischen Familie wieder zu vereinen. Die Kinder, die hierherkommen, bauen eine Bindung zu den Erzieherinnen auf und je länger sie bleiben, umso schwerer ist es für sie, wieder zu gehen. Sie wissen auch, dass es sich um einen Übergangsort handeln, sie fühlen es. Sie sehen andere Kinder kommen und gehen.
Gibt es einen Unterschied zwischen den staatlichen Organisationen und dem SOS-Baby-Center?
Wir haben viel mehr Personal, ein multidisziplinares Team, das aus fast 20 Leuten besteht. Ich bin Kinderpsychologe, ein Psychiater arbeitet hier, ein Kinderarzt. Ein externer Anwalt ist für die Rechtberatung zuständig und vertritt die Kinder in Verfahren. Und es gibt fünf Frauen, die wie SOS-Mütter 24 Stunden hier sind. Sie werden allerdings Tanten genannt, weil die Kinder schon Mütter haben und von ihnen hier besucht werden. Es gibt ein Team aus neun Pädagogen mit unterschiedlichen Fachrichtungen, sie sind Lehrer, Psychologen, und arbeiten in Acht-Stunden-Schichten. Zu jeder Tageszeit sind 3 Personen in jedem Gebäude mit den Kindern. Das ist das Besondere: Es ist immer jemand da, vor allem jemand, den die Kinder schon kennen. Wir haben kaum Fluktuation.
Ich denke die Arbeitsweise im Baby-Center ist einmalig, vor allem auch, weil wir die Kinder von Anfang an einbeziehen. Wir sprechen offen mit den Kindern. Bevor ein Kind zu uns gebracht wird, treffen sich unsere Pädagogen mit der biologischen Familie. Wir versuchen schon dann gemeinsam zu klären, was passieren wird und wieso. Wir versuchen, wenn wir es können, die Eltern zu überzeugen, mit dem Kind über alles zu sprechen und bitten die Eltern auch das Kind zu uns zu begleiten, sich zusammen ihr neues Zimmer anzuschauen und zu betonen, dass sie sich wiedersehen werden. Das trifft in den meisten Fällen zu.
Wie viele Kinder wohnen gerade im Baby-Center?
Heute haben wir 12, davon sind 6-7 die vor weniger als einem Monat zu ihrer Pflegefamilie gekommen und werden noch weiter betreut. Gerade um die ehemaligen Kinder müssen wir uns noch intensiv kümmern, was noch schwieriger ist. Das jüngste Kind in diesem Gebäude ist viereinhalb Monate und das älteste Kind ist fast sechs Jahre alt.
Sind Sie noch in Kontakt mit ein paar von den ersten Kindern? Und wie geht es ihnen?
Wir bleiben mit dem Großteil der Kinder in Kontakt. Kinder, die nicht in Pflegefamilien untergebracht werden, kommen ins SOS-Kinderdorf. Zum Beispiel, weil es sich um vier Geschwister handelt und es schwierig ist eine Familie zu finden die alle aufnehmen kann. Die Kinder aus dem Kinderdorf treffen wir oft. Bei den Kindern in Pflegefamilien nehmen wir natürlich auch Rücksicht auf die Familien. Wenn die Familien es vorziehen, den Kontakt nicht aufrecht zu halten, dann akzeptieren wir das. Solange wir wissen, dass es den Kindern gut geht, mischen wir uns nicht weiter ein.
Foto: Michela Morosini