Alles dreht sich um die Kinder im Dschungel-Dorf El Refugio. Sie sollen es besser haben als ihre Eltern, die als Kinder fliehen mussten. Die SOS-Kinderdörfer helfen ihnen bei entscheidenden Problemen: Wir besorgen Ausweispapiere, helfen bei Familienplanung und Ernährung. Auch in der Corona-Pandemie sind wir für die Familien da.
Mitten im Dschungel an der Grenze zu Guatemala haben sich vor mehr als 30 Jahren Flüchtlinge aus Guatemala angesiedelt. Sie sind auf mexikanischem Boden geduldet, seit ihre Familien in den 1980er-Jahren vor dem brutalen Bürgerkrieg in ihrer Heimat flohen. Das Trauma der Flucht ihrer Eltern lebte jahrzehntelang fort in den Nachkommen. Diese haben heute selbst wieder Kinder, sie nennen ihre neue Heimat "El Refugio", Zufluchtsort.
Frauen wie Doña Antonia*, die ihr genaues Alter nicht kennt, aber mit 40 angibt, erinnern sich noch gut an die schlimmen Erlebnisse und Strapazen auf der Flucht als sie Kinder waren: "Wir hatten wenig zu essen, schlugen uns durch den Dschungel, immer die Gewehrsalven und Schreie von Verfolgern und Verfolgten in den Ohren."
Sie gehört zur zweiten Generation von Geflüchteten und hat nach mehr als 30 Jahren langsam Fuß gefasst in Mexiko. Bei ihrer Ankunft sprachen alle Familien und Kinder nur die alte Mayasprache Chuj. Viele konnten nur wenige Jahre zur Schule gehen. Mangelnde Sprachkenntnisse in Spanisch, das niedrige Bildungsniveau und, dass sie ihre Rechte nicht kannten, führten dazu, dass sie dort lange Zeit ein Leben am Rande der Gesellschaft fristeten.
Workshops für ein besseres Leben
Als die SOS-Kinderdörfer vor fünf Jahren Familien in der Gemeinde Workshops anboten, die ihre Lebenssituation verbessern sollten, war es nicht leicht, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie davon profitieren würden. Heute nehmen zehn Frauen und 35 Kinder im Alter von drei bis 12 Jahren am Familienstärkungsprogramm der SOS-Kinderdörfer teil. Graziela del Carmen Alguilar, 34, Sozialarbeiterin der SOS-Kinderdörfer, die das Familienstärkungsprogramm in El Refugio aufbaute, erzählt:
"Am Anfang war es sehr schwer, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Wir haben die Frauen zunächst in regelmäßigen Runden erzählen lassen, was sie besonders bedrückt. Wir haben nur zugehört."
Besonders belastend ist es für die Frauen, dass ihre Männer oft monatelang als Wanderarbeiter in die größeren Städte ziehen, weil sie dort mehr verdienen können, als auf dem Lande als Hilfskraft am Bau oder bei der Ernte. Oft monatelang allein auf sich selbst gestellt, müssen die Frauen dann mit wenig Geld und Eigenanbau die Familie über Wasser halten.
Dabei geben sie aber den Wunsch nach einer besseren Zukunft für sich und ihre Familien nicht auf. "Wir haben gemeinsam nach Lösungen gesucht, um das Familienleben strukturierter zu gestalten. Wichtig war es zuerst, dass wir die Frauen über ihre Rechte aufgeklärt haben", sagt Graziela.
Der regelmäßige Austausch und der Rat der Sozialarbeiter haben das Selbstbewusstsein der Frauen gestärkt. "Seit ich meine Rechte kenne, besonders meine Rechte als Frau, habe ich keine Angst mehr, meine Wünsche auszusprechen", erklärt Doña Antonia. "Auch mein Mann hat verstanden, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen müssen, um für unsere Kinder mehr zu erreichen. Unsere Kommunikation hat sich sehr verbessert, er ist aufgeschlossener. Wir entscheiden gemeinsam, wenn es um die Familie geht."
Verhütung und Familienplanung
Zur Aufklärung gehört, dass die Frauen erfahren, welche verschiedenen Verhütungsmethoden es gibt. Antibabypille, Hormonpflaster, Verhütungschips, Kondome oder Sterilisation bei Frauen oder Vasektomie für Männer. Viele Frauen haben acht oder mehr Kinder und denken nun über eine Sterilisation nach.
Das betrifft besonders die Gespräche über Familienplanung. In der hier üblichen patriarchalischen Sozialstruktur haben die Frauen in der Regel keine Mitsprache. "Der Machismo ist immer noch sehr stark ausgeprägt in dieser Gemeinschaft", sagt Graziela. "Acht Kinder in einer Familie, das ist der Durchschnitt. Doch jetzt ändert sich etwas. Das, was die Frauen bei uns über Empfängnisverhütung erfahren, kommt auch bei den Männern an. Sie verstehen, dass die Entscheidung, wie viele Kinder sie bekommen wollen, als Paar getroffen werden muss."
Doña Gloria*, 25, zwei Kinder, hat sich vor einiger Zeit ein Hormondepot in den Oberarm legen lassen. Das ist mittlerweile die beliebteste Verhütungsmethode für die Frauen, da Anwendungsfehler praktisch ausgeschlossen sind. Sie möchte später zwar noch weitere Kinder, aber erst, wenn sich das junge Paar diese leisten kann. Für beide ist es wichtig, dass zuerst das kleine Haus baulich besser ausgestattet ist, der Mann einen sicheren Arbeitsplatz findet und damit die Ernährung und später der Schulbesuch für alle ihre Kinder gesichert ist.
Corona: Wie kann es jetzt weitergehen?
Die Corona-Pandemie hat die Lage der Familien verschärft – das Einkommen vieler Familien ist weggebrochen, es mangelt an staatlicher Unterstützung. Die nächste Klinik ist weit weg und eine Krankenversicherung für die Familien gibt es nicht.
Zudem droht die Bildungslücke der Kinder El Refugios ins Unermessliche zu wachsen: Lehrer:innen kommen nur alle zwei Wochen in die Gemeinde, um Hausaufgaben vorbeizubringen. Es fehlen technologische Hilfsmittel für die Kinder und die Eltern können ihnen nicht beim Lernen helfen – denn oft können sie selbst weder lesen noch schreiben.
Die Frauen sind zunehmend verzweifelter und ihre Männer müssen teilweise noch länger wegbleiben, um Geld für ihre Familie in anderen Bundesstaaten zu verdienen. Doch ihr durch die Workshops gewonnenes Selbstbewusstsein gibt den Frauen Kraft, weiterzumachen.
Und wir lassen die Familien in El Refugio auch jetzt nicht allein: Unsere Mitarbeiterinnen haben den Frauen gezeigt, mit welchen Hygienemaßnahmen sie sich und ihre Kinder vor einer Ansteckung mit Covid-19 schützen können. Wir unterstützen die Familien in der Pandemie zudem durch telefonische Beratung und Besuche und haben ihre Vorräte soweit aufgestockt, dass die Ernährung der Kinder gesichert ist.