Gewalt unter Gleichaltrigen verstehen, erkennen und darauf reagieren: Im Projekt "Applying Safe Behavoiurs" kommen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ins Gespräch und helfen, ein sicheres Umfeld zu schaffen.
"Gewalt unter Gleichaltrigen ist leider sehr verbreitet", sagt Dana. "Ich wollte etwas ändern." Dana ist 18 Jahre alt und in einem SOS-Kinderdorf in Rumänien aufgewachsen. Sie hat an dem zweijährigen Projekt "Applying Safe Behaviours" teilgenommen und sagt heute: "Ich habe gelernt, dass Kommunikation der Schlüssel ist. Lasst uns Platz schaffen für ein Miteinander."
Safe Behaviours: Verletz nicht MICH, weil DU verletzt bist
Der "Safe-Behaviours"-Ansatz konzentriert sich auf das Recht der Kinder, sich jederzeit sicher zu fühlen. Es geht um die Entwicklung von Selbstvertrauen und Resilienz und die Bedeutung von Akzeptanz und Verständnis. "Erwachsene sind oft ungeduldig und wollen nur herausfinden, wer das Opfer ist und wer Schuld trägt", beschreibt es die 20-Jährige Lordina. "Dabei sollte es um viel mehr gehen. Sie müssen herausfinden, warum Täter tun, was sie tun. Und wie es sich auf die Betroffenen auswirkt." Die junge Marjolaine aus Frankreich erklärt es so: "Wenn ein junger Mensch nicht den nötigen Halt bekommt, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen, wird er sie auf die einzige Weise ausdrücken, die er kennt. Nämlich, indem er einen anderen Gleichaltrigen verletzt." Im Projekt lernte sie auch den Claim kennen: "Verletz nicht MICH, weil DU im Herzen verletzt bist." Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche aktiv mitwirken, ein sicheres Umfeld für sich und ihre Altersgenossen zu schaffen.
Wer Gewalt erlebt hat, ist selbst gefährdet
Gewalt durch Gleichaltrige gehört zu den häufigsten Formen von Gewalt, die das Leben von Kindern beeinträchtigen. Sie hat viele Gesichter: Mobbing und Cybermobbing, körperliche Misshandlung, sexuelle Belästigung und Missbrauch. Nach Zahlen der Vereinten Nationen ist weltweit eine:r von drei Schüler:innen zwischen 13 und 15 Jahren irgendeiner Form von Mobbing ausgesetzt. Ähnlich viele erleben körperliche Gewalt im schulischen Umfeld.
Das von der EU mitfinanzierte Projekt wurde von 2021 bis 2023 mit SOS-Kinderdörfern in Belgien, Frankreich, Italien, Rumänien und Spanien durchgeführt. Dabei ging es um das Erkennen und den Umgang mit Gewalt unter Gleichaltrigen. Es richtete sich besonders an Kinder und Jugendliche in alternativer Betreuung, aber auch an deren Betreuer:innen. Gerade Kinder ohne elterliche Fürsorge oder aus schwierigen familiären Verhältnissen haben oftmals Gewalterfahrungen gemacht: Sie sind zum Beispiel vernachlässigt worden oder haben toxischen, emotionalen Stress in der Familie miterlebt, sie haben Gewalt mit angesehen oder selbst erlebt. Aufgrund dieser Erfahrungen sind sie stärker gefährdet, Opfer von Gewalt durch Gleichaltrige zu werden oder selbst gewalttätig zu werden.
"Kinder wollen sich beteiligen, wenn man sie nur zu Wort kommen lässt und ihnen die Zeit gibt, sich zu öffnen. Partizipation ist ein Recht und ein Bedürfnis. Gewalt darf kein Tabuthema sein."
Zuhören: Forschungsinterviews mit Kindern und Jugendlichen
"Gewalt kann überall stattfinden: in den sozialen Medien, in Schulen, in alternativen Betreuungseinrichtungen, in öffentlichen Verkehrsmitteln. Es ist nicht immer ein Erwachsener anwesend. Deshalb ist es wichtig, dass diese anhören, was Kinder und Jugendliche dazu zu sagen haben, und uns immer ernst nehmen", sagt Lordina, eine jugendliche Teilnehmerin.
Eingebunden zu sein war wichtiger Teil des Projektes – und für Dana aus Rumänien der Grund, mitzumachen. Anfangs wurden 455 Kinder und Jugendliche in Forschungsinterviews befragt. Die Interviews bildeten gemeinsam mit einer Umfrage unter Fachleuten die Grundlage für das Projekt. In Zusammenarbeit mit den jungen Menschen wurden anschließend verschiedene Materialien erarbeitet, unter anderem eine Broschüre für Kinder zwischen 8 und 11 Jahren. Für Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren wurden Sensibilisierungsvideos über die Auswirkungen von Gewalt erstellt. Für Fachkräfte wurden ein Praxisleitfaden entwickelt und Face-to-Face-Schulungen durchgeführt. Die Erkenntnisse des Projektes sind nicht nur für die SOS-Kinderdörfer wertvoll. Da Gewalt unter Gleichaltrigen in allen Schichten vorkommt, wurden auch andere Fachkräfte eingebunden: Lehrer:innen, Jugendbetreuer:innen, Kita-Personal, Sozialarbeiter:innen, mehr als 570 Menschen haben an den Schulungen teilgenommen.
Partizipation ist ein Recht
"Kinder wollen sich beteiligen, wenn man sie nur zu Wort kommen lässt und ihnen die Zeit gibt, sich zu öffnen. Partizipation ist ein Recht und ein Bedürfnis", sagt die 25-jährige Maryam."Gewalt darf kein Tabuthema sein." Maryam ist in einem SOS-Kinderdorf in Spanien aufgewachsen, sie führte Forschungsinterviews mit spanischen Kindern und Jugendlichen. Danach wurde sie Master-Trainerin und bildete Betreuungspersonal in sieben Orten des Landes aus. Gerade aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen in der Kindheit weiß sie, wie wichtig es ist, dass Kinder Vertrauen aufbauen können. "Kinder wollen, dass Erwachsene verantwortungsbewusst sind, dass sie gut zuhören können, dass sie Vorbilder sind und dass sie da sind, wenn Gewalt unter Gleichaltrigen aufritt." Auch der 20-jährige Luca aus Frankreich spricht von einer "großen Kluft zwischen den Generationen. Wir alle haben die Verantwortung, diese Kluft mit einer vertrauensvollen Verbindung, mit Liebe, Freundlichkeit und Respekt zu füllen."
"Kindheit sollte nie ein Kampfplatz sein"
"Vergessen wir nicht, dass die Jugend die Zukunft ist und dass die jüngeren Generationen angehört werden müssen, damit sich etwas ändert", sagt Fatima, eine junge Teilnehmerin am Programm. Für die 18-jährige Dana aus Rumänien, die gerade ihr letztes Jahr auf dem Gymnasium absolviert, gab das Projekt wichtige Impulse. "Ich habe gelernt, dass wir immer dafür sorgen sollten, dass sich die Menschen in unserer Nähe wohl und sicher fühlen. Es spielt keine Rolle, wer du bist oder wie du aussiehst, auch wenn ich zwanzig bin und du fünf. Wir sind beide Menschen. Kindheit sollte nie ein Kampfplatz sein."
Das Projekt endete im Juli 2023, das von den jungen Menschen erarbeitete Material wird aber darüber hinaus weiter verbreitet, der "Safe Behaviours"-Ansatz wird in weltweiten SOS-Kinderdörfern Gehör finden. Das Team entwickelte außerdem evidenzbasierte politische Empfehlungen für fünf europäische Staaten. Sie können ein kleiner Schritt sein, hin zu dem großen Ziel der Vereinten Nationen, alle Formen von Gewalt gegen Kinder bis 2030 zu beenden.
Mobbing unter Jugendlichen – Einblick in Materialien aus den Projekt
Eines der Materialien, die im Projekt erstellt wurden, ist ein Sensibilisierungsvideo zum Thema "Mobbing unter Jugendlichen". Sehen Sie sich das Video an!