Guatemala: Bildung als Schlüssel

Wie die SOS-Kinderdörfer indigene Familien stärken

"Meine Kinder werden so viel mehr im Leben erreichen als ich!"

In einem Land, in dem gerade einmal 13 % der Schüler die Grundschule beenden, ist ein Lebenslauf wie der von Maria Luisa (42) die Regel, nicht die Ausnahme. "Ich war nie in der Schule", sagt die 42-Jährige. "Ich habe auch meine Kinder nie hingeschickt, weil ich es für sinnlos hielt. Dann wurden mein Mann und ich und die Kinder in die Familienstärkung der SOS-Kinderdörfer aufgenommen, vor zwei Jahren war das. Die haben uns so viel erzählt dort! Alle vier Kinder gehen jetzt zur Schule. Ich selbst habe im Sozialzentrum der SOS-Kinderdörfer Lesen und Schreiben gelernt und bin jetzt ungefähr schon so weit wie eine Sechstklässlerin."

Maria Luisa mit ihrem Sohn. Ihm und seinen Schwestern hat Maria Luisa ermöglicht, was ihr selbst verwehrt blieb: eine Schulausbildung. Foto: Alejandra Kaiser

Aufgrund mangelnder Bildung bleiben der Mehrzahl der Maya viele berufliche Chancen verwehrt. Wahltage sind so gelegt, dass sie mitten in die Erntezeit fallen, und da viele Maya als Erntehelfer arbeiten, können sie ihre Stimme nicht abgeben. Auf diese Weise wird ihnen die politische Mitbestimmung sehr schwer gemacht. Dieses Beispiel zeigt: Bildung ist nur einer von vielen Schritten, die notwendig sind, den Maya Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Bildung ist aber auch unverzichtbar, weil sie den Menschen hilft, ihre Rechte nicht nur zu kennen, sondern sie auch einfordern zu können.

Maria Luisa hat das erkannt. Sie sagt: "Meine Kinder sollen die Schule beenden und dann einen richtigen Beruf haben, gerade die Mädchen! Meine Kinder werden so viel mehr im Leben erreichen als ich!" Vom Programm der Familienstärkung profitieren aber nicht nur Maria Luisa und ihre Kinder, sondern auch ihr Mann, der im Sozialzentrum Workshops besucht. Maria Luisa selbst hat eine kleine Hühnerzucht aufgebaut. Das Geld dafür konnte sie aufbringen, weil sie von den SOS-Kinderdörfern Lebensmittelpakete bekam und deshalb etwas Geld ansparen konnte. Maria Luisa hat ihre Hühnerzucht von ihrem eigenen Geld gekauft, sie ist ihres eigenen Glückes Schmied und zu Recht stolz auf das, was sie innerhalb von zwei Jahren erreicht hat. 

Hilfe für Familien in Quetzaltenango und Quiché

Auch unter durch Corona erschwerten Bedingungen läuft die Familienstärkung der SOS-Kinderdörfer in Quetzaltenango und Quiché weiter. An beiden Standorten leben Angehörige des Maya-Stamms der K’iche’. Sie können folgende Angebote in Anspruch nehmen:

  • Versorgung mit Grundnahrungsmitteln (Pakete für je 22 Tage)
  • Anleitung zum Anlegen eines Familiengartens
  • Unterstützung bei der Jobsuche; Kurse und Mikrokredite für Selbständige
  • Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder in der Coronazeit
  • Informationen über die medizinischen und psychischen Folgen von Corona
  • Hausbesuche durch SOS-Sozialarbeiter*innen bei besonders gefährdeten Familien

 

Hilfe für Kinder in Not

Handeln, bevor Kinder auf der Straße landen: Die SOS-Kinderdörfer unterstützen Familien, damit Eltern ihren Kindern aus eigener Kraft eine Perspektive bieten können.

 

Traditionelles Wissen wiederentdecken

Nachfahren der Maya machen bis heute die Mehrheit der Bevölkerung Guatemalas aus; Regierung und Grundbesitz hingegen sind seit Jahrhunderten fest in der Hand einer kleinen weißen Oberschicht. 

Dabei waren die Maya lange Zeit eine Hochkultur, die einen florierenden Handel betrieb, der weit über die Grenzen ihres Reiches hinausging. Ackerbau und Viehzucht waren im Reich der Maya ebenso verbreitet wie das Jagen und Fischen. Sie entwickelten Schrift, Mathematik und Astronomie und setzten diese Errungenschaften zum Nutzen ihres Volkes ein.

Viel von diesem Wissen ist abhandengekommen, weil den Maya ihr Land genommen wurde und sie auf der Suche nach Arbeit in die Großstädte zogen. Auf diese Weise wurden die alten Stammesstrukturen mit dem von Generation zu Generation überlieferten Wissensschatz zerstört.

Ein Arbeitsfeld der SOS-Familienstärkung ist deshalb die Wiederverbreitung des traditionellen Wissens der Maya. So inakzeptabel wie das kulturelle Vergessen ist auch der hohe Grad an Analphabetismus – und das in einer Kultur, die einst ihre eigene Schrift entwickelte. Alphabetisierungskurse sind ein wichtiger Schritt, den Maya wieder Teilhabe am Erfolg Guatemalas zu verschaffen, denn Bildung ist in allen Bereichen des Lebens der Schlüssel zum Erfolg.

Im SOS-Sozialzentrum Patzún werden die Kinder nicht nur betreut und verköstigt, sie lernen auch die Lieder und Mythen der Maya, ihrer Vorfahren.

Drei Tragödien

Die Maya mussten im Lauf ihrer Geschichte drei große Tragödien ertragen: die spanische Eroberung ihrer Heimat, die Enteignung des Landes im neunzehnten Jahrhundert und zuletzt die Massaker in den 1980er Jahren, als der Staat mit brutaler Gewalt gegen Maya vorging, die Gerechtigkeit für ihr Volk einforderten. Heute ist die Diskriminierung der Maya zwar de jure abgeschafft, de facto aber noch existent. Es gibt viel zu tun, und unsere guatemaltekischen Kolleg*innen setzen sich seit Ende der 1970er Jahre mit aller Kraft für die Rechte ihrer Mitbürger ein.

Von großer symbolischer Bedeutung für die Maya war die Verleihung des Friedensnobelpreises 1992 an Rigoberta Menschú, eine der ihren. Das schwere Los der Maya rückte dadurch ins Licht einer breiten Öffentlichkeit. Ein positiver Aspekt dessen war, dass es Militär und Polizei eine gewisse Zurückhaltung im zuvor oft brutalen Umgang mit dieser Ethnie auferlegte. Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der guatemaltekischen Indigenen: 1996 endete der 36 Jahre andauernde Bürgerkrieg, der unendliches Leid über die Bevölkerung gebracht hatte.

Trotz vieler Fortschritte leben ein Vierteljahrhundert später immer noch 75 % der Einwohner Guatemalas in Armut. Ein haltloser Zustand, gegen den die SOS-Kinderdörfer mit ihren Programmen ankämpfen.

 

Hilfe für Kinder in Not

Handeln, bevor Kinder auf der Straße landen: Die SOS-Kinderdörfer unterstützen Familien, damit Eltern ihren Kindern aus eigener Kraft eine Perspektive bieten können.

 

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