München - Im Schatten der Öffentlichkeit sind Kinder laut den SOS-Kinderdörfern immer öfter von mehreren Krisen gleichzeitig betroffen: von komplexen Konflikten und Kriegen, massiv steigenden Lebenshaltungskosten bis hin zu Naturkatastrophen und Klimakrise. Auch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie dauern an. Die multiplen Krisen haben die historischen Nachteile, mit denen viele Kinder konfrontiert sind, noch verschlimmert. Beispielsweise führte die Corona-Pandemie dazu, dass rund 10,5 Millionen Kinder die Fürsorge eines Erwachsenen verloren. Über 2,4 Milliarden Kinder, die unter Ungleichheit, Ausgrenzung und Benachteiligung leiden, benötigen aktuell dringend sozialen Schutz.
In Ländern wie Haiti, Somalia, Benin und Bangladesch zeigen sich die Auswirkungen der multiplen Krisen in ganzer Härte.
Haiti: Erdbeben und Bandengewalt
Haiti ist anfällig für Naturkatastrophen. Massive Erdbeben haben mehrfach zu Katastrophen geführt. Die aktuelle Situation ist jedoch beispiellos. Eine Reihe von Krisen, beginnend mit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021, hat das Land ins Chaos gestürzt. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen, Hunger und Not haben massiv zugenommen. „Überall herrscht Unsicherheit, Banden haben Port-au-Prince umzingelt und nicht einmal die Regierung oder die Polizei wissen, was sie tun sollen“, sagt Faimy Loiseau, Leiterin der SOS-Kinderdörfer in Haiti. Zusätzlich bleibt der Regen aus, was die Nahrungsmittelknappheit weiter verschärft. „Insbesondere für Familien, die bereits zuvor in Not waren, ist das Leben extrem schwierig“, sagt Loiseau. Nach Schätzung haben 4,7 Millionen Menschen – fast die Hälfte der Bevölkerung – nicht genug zu essen. Kinder landen auf der Straße und laufen Gefahr, von bewaffneten Banden rekrutiert zu werden. Faimy Loiseau sagt: „Die Banden kennen keine Gnade. Viele Gangmitglieder sind jung – Jugendliche oder sogar kleine Kinder.“
Wie in anderen multiplen Krisen brechen Kinder auch in Haiti vielfach die Schule ab. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die Bildung von 222 Millionen Kindern weltweit durch Krisen bedroht. Die Schulen der SOS-Kinderdörfer in Haiti sind nach wie vor geöffnet - neben der Stärkung von Familien und der Unterstützung elternloser Kinder ist das eine wichtige Maßnahme der Hilfsorganisation.
Somalia: Dürre, Konflikte und Vertreibung
2023 hat Somalia die schwerste Dürre seit 40 Jahren erlebt. „Dazu kommen steigende Lebensmittelpreise, lange bewaffnete Konflikte und Vertreibung“, sagt Abdikadir Dakane, Leiter der SOS-Kinderdörfer im Land. Die Folge sind Unterernährung, Hunger und Not. Kinder werden zum Betteln geschickt oder sexuell ausgebeutet. Mädchen werden zum Teil schon mit zehn Jahren verheiratet.
Die SOS-Kinderdörfer leisten in ihren Mutter-Kind-Kliniken wichtige medizinische Hilfe und helfen Gemeinden, widerstandsfähiger zu werden. Dakane sagt: "Wenn wir sie befähigen, ausbilden, ihr Bewusstsein schärfen, gute Schulen bauen, und die Regierung ihren Teil dazu beiträgt, dann ist das Hilfe, die wirkt.“
Benin: Überschwemmungen und Nahrungsmittelkrise
Benin erlebte im Jahr 2022 eine der schlimmsten Überschwemmungen der letzten Zeit und spürt zudem die Auswirkungen der Nahrungsmittelkrise. Insbesondere im Norden des Landes kommt es außerdem seit Jahren zu Angriffen extremistischer Gruppen. All dies sind Bedrohungen für das Leben von Kindern und Familien. Salimane Issifou, Leiter der SOS-Kinderdörfer in Benin, sagt: „70 Prozent der Familien in unseren Programmen haben um Nahrungsmittelzuschüsse gebeten.“ Die SOS-Kinderdörfer unterstützen vielfältig und versetzen Familien unter anderem in die Lage, selbst Lebensmittel anzubauen.
Bangladesch: Kinderarbeit und Kinderehe als Folge mehrfacher Krisen
Bangladesch ist eines der Länder, die jetzt schon massiv vom Klimawandel betroffen sind. Enamul Haque, Nationaler Leiter der SOS-Kinderdörfer in Bangladesch, sagt: „Immer wieder werden bei Überschwemmungen große Landstriche mit Salzwasser geflutet, insbesondere im Süden des Landes. Familien, die schon zuvor unter extremer Armut und steigenden Lebenshaltungskosten gelitten haben, haben alles verloren. Sie haben weder Geld für Essen, noch für die Ausbildung ihrer Kinder.“ 1,7 Millionen Kinder sind nach Schätzungen von Kinderarbeit betroffen, 60 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren sind verheiratet. Auch die Gesundheit der Kinder ist durch die multiplen Krisen gefährdet. Nährstoffarme Nahrung und verunreinigtes Wasser haben direkte Auswirkungen auf ihre körperliche Entwicklung und ihr Immunsystem.
Die SOS-Kinderdörfer stärken Familien in Bangladesch unter anderem durch Umschulungen, damit sie ihr Leben wieder aus eigener Kraft bestreiten können. Auch medizinische und psychologische Unterstützung sowie Bildungsangebote gehören zu den Hilfsangeboten.