Auf der afrikanischen Insel Madagaskar verkaufen verzweifelte Eltern nach Angaben der SOS-Kinderdörfer ihre Kinder. "Die Kinder werden in Ikongo und einem weiteren Bezirk auf dem Wochenmarkt wohlhabenden Kunden vorgestellt und als Arbeitskräfte angeboten", sagt Jean-Francois Lepetit, Leiter der Hilfsorganisation in Madagaskar. "Viele Familien in der Region sind in große Hungersnot geraten und wissen im Kampf ums Überleben keinen anderen als diesen schrecklichen Ausweg."
Ikongo war im letzten Jahr besonders schwer von Tropenstürmen betroffen, Ernten wurden vernichtet, die Infrastruktur zerstört. Auch in diesem Jahr haben bereits mehrere Wirbelstürme zu Verwüstung, Not und Obdachlosigkeit in weiten Teilen Madagaskars geführt.
Der Verkauf von Kindern ist der dramatische Gipfel der aktuellen Katastrophe. Verzweiflung und Angst ums Überleben haben zahlreiche Menschen im ganzen Land erfasst. Jean-Francois Lepetit sagt: "Nach vier aufeinanderfolgenden Dürrejahren waren die Menschen bereits in einer desaströsen Situation. Die Wirbelstürme haben die Lage noch einmal drastisch zugespitzt!" Mehr als 13 Millionen Kinder leben unterhalb der Armutsgrenze, 42 Prozent der Kinder sind aufgrund von Mangelernährung unterentwickelt, mehr als die Hälfte der Kinder hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. Unsicherheit und Not bringen Kinder immer wieder in große Gefahr und führen dazu, dass sie ihrer Rechte beraubt werden. So sind vier von zehn Mädchen verheiratet, jedes zweite Kind muss arbeiten und nur eins von vier Kindern verfügt über Basiskenntnisse im Lesen.
Madagaskar braucht Hilfe
"Die Lage wird immer schlimmer, aber von der Welt wird Madagaskar vergessen!“, sagt Lepetit. Die humanitäre Hilfe, die geleistet werde, reiche bei weitem nicht aus. Um den Abwärtstrend zu stoppen, brauche Madagaskar umfangreiche Unterstützung. „Zuallererst müssen Hunger und Not eingedämmt werden. Dann brauchen wir Lösungen, die zu einer strukturellen Verbesserung führen: eine nachhaltige Infrastruktur, die auch den Stürmen standhält, Grundversorgung für alle. Und wir brauchen dringend Aufklärung, damit Kinderrechte gewahrt werden", sagt Lepetit.
Die SOS-Kinderdörfer in Madagaskar
Die SOS-Kinderdörfer in Madagaskar unterstützen Kinder, Familien und Gemeinden seit Jahrzehnten. In akuter Not werden Kinder und Familien mit dem Nötigsten unterstützt. Langfristige Programme zielen darauf ab, die Menschen dauerhaft zu stabilisieren.
Hintergrund
Klimawandel, Folgen der Pandemie, Krieg in der Ukraine, Aufstände im Iran, Erdbeben in Syrien und der Türkei - nie zuvor wuchsen Kinder in einer Zeit auf, in der sich so viele schwerwiegende Krisen überlagerten. Die mediale Berichterstattung lenkt dabei den Fokus der Öffentlichkeit vor allem auf Katastrophen mit einem aktuellen Bezug. Doch in zahlreichen weiteren Regionen auf der Welt kämpfen Kinder und Familien seit Jahren ums Überleben - im Schatten der Öffentlichkeit und auf humanitäre Hilfe angewiesen. In einer Serie gehen die SOS-Kinderdörfer Krisen nach, die weitgehend im Verborgenen stattfinden und zeigen auf, warum wir die betroffenen Menschen nicht im Stich lassen dürfen. Die Serie ist Teil der Kampagne #InDenFokus. Rund 30 deutsche Hilfsorganisationen haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt vergessene Krisen in den Fokus zu rücken. Ziel ist es, das Bewusstsein für das Leid der Menschen zu schärfen, weltweite Notlagen, die in den Hintergrund geraten sind, wieder sichtbarer machen und über die Arbeit von Hilfsorganisationen vor Ort zu informieren. Über "Vergessene Krisen" in Bangladesch, Haiti, Malawi und anderen Ländern.