"Durch die Schule habe ich wieder mehr Normalität in meinem Leben"

Mathegenie im Flüchtlingscamp: Iranischer Jugendlicher brilliert auf Lesbos

Der 17-jährige Kourosh aus Iran schafft etwas, das erst wenigen Flüchtlingskindern gelungen ist. Die SOS-Kinderdörfer unterstützen ihn auf seinem Weg. Hier erzählt er selbst seine Geschichte.

"Ich heiße Kourosh. Ich bin 17 Jahre alt und ich komme aus dem Iran. Seit fast einem Jahr und einem Monat lebe ich mit meiner Familie im Flüchtlingscamp Kara Tepe auf Lesbos, wo wir nach dem Lager Moria hinkamen. Für uns Geflüchtete sind die Lebensbedingungen auf der Insel wirklich hart.  

Ansteckungsgefahr durch Corona 

Kourosh lebt seit etwas mehr als einem Jahr im Flüchtlingslager auf Lesbos. Der 17-Jährige liebt Mathematik, Physik und Informatik. 

Auf der einen Seite haben wir mit COVID-19 zu kämpfen, denn hier im Flüchtlingslager ist es eigentlich unmöglich, Abstand zu anderen Menschen zu halten. Im Moment mache ich mir besonders große Sorgen wegen der Schule. Denn aufgrund der Ansteckungsgefahr ist auch die Gefahr hoch, dass die Schulen schließen müssen. Im vergangenen Schuljahr habe ich mithilfe der SOS-Kinderdörfer am Online-Unterricht teilgenommen, als die Schulen geschlossen waren. Aber mir wäre es viel lieber, wenn wir in der richtigen Schule weitermachen und richtigen Kontakt miteinander haben könnten. Mir ist die Schule sehr wichtig. Ich habe verstanden, dass es, egal wo du wohnst, sehr schwierig ist, ein gutes Leben zu führen, wenn du nicht gut ausgebildet bist. 

"Viele wollen uns hier nicht"

In den vergangenen Monaten hatten wir außerdem große Probleme mit den Menschen auf Lesbos. Sie sind von der Flüchtlingssituation auf der Insel überfordert, haben selbst Angst und obwohl uns viele Menschen geholfen haben, gibt es auch die, die uns hier nicht haben wollen. Ich fühle mich als Bürde. Das macht mich traurig und beschämt mich. Als Geflüchteter lebe ich in ständiger Unsicherheit. Denn es sind immer Fremde, die über dein Leben, deine Zukunft entscheiden. Das ist frustrierend.  

Normalität und Ablenkung durch Schule

Meine Lieblingsfächer sind Informatik, Mathe und Physik. Ich habe in Iran eine weiterführende Schule besucht und mich für den mathematischen Zweig entschieden, da ich Programmierer werden will. Hier in Griechenland hoffe ich, damit weitermachen zu können. Dadurch, dass ich in dieser Situation in die Schule gehen und dort andere Jugendliche sehen kann, fühlt es sich für mich wieder ein bisschen mehr nach Normalität an. Das hilft mir, das Leben im Lager und das, was ich erleben musste, zu ertragen und zu vergessen. Das Lernen gibt mir auch das Gefühl, wieder nützlich zu sein, da ich jeden Tag etwas erledigen muss und dadurch kann ich dem langweiligen Leben im Camp entfliehen.

Lernen ist für die Kinder sehr wichtig: Der Unterricht im SOS-Kinderschutzzentrum hilft ihnen, ihren Alltag im Lager zu vergessen. Foto: Alea Horst 

Griechisch lernen als Herausforderung

Am härtesten daran, in einem fremden Land zur Schule zu gehen, ist für mich auf jeden Fall die Sprache. Ohne die Sprache zu können, war es am Anfang wirklich schwer, im Unterricht mitzukommen. Das war vergangenes Jahr mein Hauptproblem. Aber zum Glück kann ich jetzt besser Griechisch sprechen und es wird dadurch hoffentlich auch einfacher, mich mit meinen Klassenkameraden anzufreunden.

Als einer der ersten Geflüchteten an Top-Schule

Nach vielen Herausforderungen, viel Lernerei und mit der Hilfe von vielen tollen Lehrern habe ich es geschafft, an eine der besten Schulen hier auf Lesbos zu kommen. Damit bin ich offiziell einer der ersten Geflüchteten, die es jemals auf diese Schule geschafft haben. Wenn man mich vor einem Jahr gefragt hätte, hätte ich nie gedacht, dass ich jemals wieder lernen könnte. Ganz ehrlich – es war ein wirklich harter Weg, das zu schaffen. Ich habe viele Herausforderungen erlebt und ich weiß, dass noch viele auf mich zu kommen. Aber wenn ich jetzt zurückblicke, war es das irgendwie wert. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich alles wieder genauso machen.

Das Elend der Geflüchteten auf Lesbos

Nach dem Brand in Moria: Eine Mutter mit ihrem Baby ist obdachlos. Foto: Alea Horst

Anfang September 2020 brannte das berüchtigte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ab. Die Menschen dort lebten dort unter unwürdigsten Zuständen, in Zelten, es gab oft kein fließendes Wasser. Ursprünglich war das Lager für 2800 Menschen ausgelegt – am Ende war es mit fast 13.000 Menschen heillos überfüllt.

Durch den Brand wurden Tausende obdachlos. In einem in aller Eile errichteten Zeltcamp sind die Zustände nun ebenfalls dramatisch: Es gibt kaum Sanitäranlagen, der Strom fällt aus, erste Herbststürme setzten Teile des Lagers unter Wasser. "Das neue Camp ist direkt am Meer, es gibt nur Zelte. Ich weiß nicht, wie das jetzt im Herbst und Winter werden soll, wenn es kalt und stürmisch ist", sagt Irene Spireli, Koordinatorin der SOS-Kinderdörfer auf Lesbos.

In unmittelbarer Nähe dieses Zeltcamps gibt es auf Lesbos noch ein zweites Lager Kara Tepe, wo Familien und viele alleinerziehende Mütter in Containern untergebracht sind. Hier sind die SOS-Kinderdörfer seit Jahren aktiv, um Flüchtlingskinder und ihre Familien zu unterstützen – durch Bildungsangebote und psychosoziale Betreuung.

Unsere Hilfe ist jetzt wichtiger denn je, berichtet Irene Spireli. “Seit dem Brand in Moria sind wir im Ausnahmezustand. Auch wenn die Menschen hier in Kara Tepe während des Feuers relativ sicher waren, hatten Kinder und Eltern Angst, auch um Verwandte und Freunde, die vor dem Feuer in Moria fliehen mussten, tagelang auf der Straße lebten und jetzt im neuen Zeltcamp sind. Die Menschen sind zermürbt und verzweifelt, viele haben sich aufgegeben. Die Kinder bekommen all das mit, die Angst, das Leid.”

 

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