Wie Mitarbeiter:innen in einem SOS-Kinderdorf in Uruguay eine junges Mädchen begleiten, die ihre Geschlechteridentität gefunden hat – und wie die anderen Kinder ein Beispiel für Toleranz sind.
Im SOS-Kinderdorf Montevideo in Uruguay lebt eine junge trans*Frau. Das bedeutet, sie ist als biologischer Junge geboren worden, identifiziert sich aber als Mädchen. Die Kolleg:innen vor Ort begleiten das Mädchen vor Ort, sie besuchen Workshops zum Thema LGBTIQ* und setzen sich auch selbst mit traditionellen Geschlechterrollen auseinander.
Im Interview erzählen uns die Mitarbeiter:innen der SOS-Kinderdörfer in Uruguay, wie sie den Prozess erleben und wie die anderen Kinder auf die Situation reagieren.
Wie waren die Reaktionen der Betreuer:innen und Sozialarbeiter:innen auf das LGBTIQ*-Thema? Gab es Widerstände oder Zweifel, vielleicht aber auch Offenheit?
Obwohl die Geschlechterperspektive sowohl in den Gesetzen Uruguays als auch den gültigen Vorschriften enthalten ist, bleibt es in unserer Gesellschaft weiterhin eine Herausforderung, einige Verpflichtungen zu erfüllen. Insbesondere auf institutioneller Ebene in der Kinder- und Jugendpolitik ist es manchmal noch schwierig, klare Richtlinien und gemeinsame Kriterien sowohl auf konzeptioneller Ebene als auch für die Entwicklung von konkreten Praktiken zu etablieren.
In unserem integrierten SOS-Kinderdorf in Montevideo gehört diese Realität zu unserem Alltag, und die Auseinandersetzung mit dem Thema war für alle eine ständige und sehr bereichernde Herausforderung.
Die Reaktionen des Teams waren unterschiedlich, aber alle konnten sich immer auf einen gemeinsamen Grundsatz einigen: Respekt vor der Vielfalt. Das LGBTIQ*-Thema fordert die Erwachsenenwelt und jeden einzelnen Menschen heraus.
Wie betrifft euch das Thema LGBTIQ* im SOS-Kinderdorf Montevideo?
Wir als betreuendes Team begleiten ein trans*Mädchen vor Ort. Das ganze Team war sehr offen, als wir vorherrschende Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen kritisch hinterfragten, die fester Teil unserer Kultur sind.
Für uns Mitarbeiter:innen wurden Räume für den Austausch und die Sensibilisierung für das Thema geschaffen. Alle haben diese als sehr geeignet und positiv bewertet.
Wie haben die anderen Kinder auf das Mädchen reagiert?
Obwohl es bis heute unterschiedliche Positionen und Meinungen gibt, haben sich zwei Dinge immer durchgesetzt: der Respekt und das gemeinsame Ziel, die gesunde Entwicklung der Kinder in unseren Programmen zu gewährleisten.
Besonders hervorzuheben sind die Reaktionen der anderen Kinder: Sie haben natürlicher und mit weniger Widerstand als die Erwachsenen reagiert. Sie waren wichtige Akteure im Prozess der Sozialisierung und Integration des trans*Mädchens.
Gab es Unterstützung von medizinischer oder fachlicher Seite? Wenn ja, wie sah diese aus?
Das Mädchen, das wir derzeit begleiten, hat seine Geschlechtsidentität von Anfang an gezeigt. Der Prozess fühlte sich ganz natürlich an und das Mädchen konnte selber die verschiedenen Schritte bestimmen. Die ganze Zeit über wurden wir vom interdisziplinären Team der Transgender-Poliklinik des Saint Bois Hospitals und dem zuständigen Gesundheitsdienst unterstützt.
Neben der Anleitung durch Spezialist:innen wurden für das gesamte Team der SOS-Kinderdörfer und ihre Lehrer:innen Workshops durchgeführt. Diese Workshops waren sehr bereichernd, sowohl konzeptionell als auch persönlich.
Der leitende Arzt sagte zu uns: "Obwohl wir wissen, dass es nicht ideal ist, wenn sich ein Kind in einer Schutzsituation befindet, hatte das Mädchen in diesem Fall das Glück, hier im SOS-Kinderdorf zu sein. In ihrer Ursprungsfamilie wäre es unmöglich gewesen, das Mädchen hinsichtlich ihrer Geschlechtsidentität zu begleiten."
Welche Maßnahmen ergreifen die SOS-Kinderdörfer Uruguay, um Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Ausrichtung in den verschiedenen Programme zu verhindern?
Für uns ist es wichtig, präventiv zu arbeiten und eine gesunde Geschlechterperspektive zu fördern, um Gewalt und Missbrauch zu verhindern.
Wir wollen ein Arbeitsklima schaffen, in dem Respekt vor der Vielfalt herrscht. So kann ein sicheres und schützendes Umfeld für Kinder und ein gesundes Miteinander entstehen. Dazu ist es auch notwendig, das Bewusstsein für das LGBTIQ*-Thema dauerhaft zu schärfen. Das tun wir, indem wir die Mitarbeiter:innen und Kinder in den Programmen der SOS-Kinderdörfer schulen. Dazu führen wir verschiedene Aktivitäten durch:
- Workshops und Austauschangebote für Mitarbeiter
- Workshops und Austauschangebote für Kinder und Jugendliche
- Künstlerische und spielerische Interventionen
- Aufstellung klarer Regeln, die für alle Beteiligten des Programms gelten
Warum ist das LGBTIQ*-Thema für SOS-Kinderdörfer in Uruguay so wichtig?
Um die Erfüllung und Ausübung der Kinderrechte gemäß der Kinderrechtscharta zu gewährleisten, verstehen wir es als grundlegend, unsere Arbeit unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten auszuführen. Gleichzeitig ist es unsere grundlegende Aufgabe, täglich präventiv gegen jegliche Art von Diskriminierung oder Verwundbarkeit zu arbeiten. Daher ist es wichtig, gesunde Bindungen zu pflegen, die die Entwicklung jedes Kindes fördern, frei von jeglicher Diskriminierung und Gewalt.
Gibt es einen Mechanismus zur Meldung von Trans- oder Homophobie innerhalb der Organisationsstruktur der SOS-Kinderdörfer Uruguay?
Wir haben einen solchen Mechanismus in den Kinderschutzrichtlinien verankert.
Gibt es im Personalbereich spezielle Maßnahmen um ein LGBTIQ*-freundlicher Arbeitgeber zu sein?
Bei den SOS-Kinderdörfern Uruguay wird dieses Thema wahrgenommen, aber es steht noch am Anfang. Es ist wichtig, dass die Kolleg:innen aus den Programmen, die direkt mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten, ihre Erfahrungen mit den Kolleg:innen im Personalbereich teilen. Dann können diese schrittweise ihren Blickwinkel erweitern und bessere Werkzeuge bereitstellen.