Gemeinsam sind wir stark

Interview mit Punam Thapa aus Nepal

Punam Thapa, 23, ist eine Jugendliche, die in einem SOS-Kinderdorf in Nepal aufgewachsen ist, und Mitglied der International Youth Coalition. Sie hat kürzlich ihr Studium an der Tribhuvan-Universität in Kathmandu abgeschlossen und ihre berufliche Laufbahn in der Medizin gestartet. Im Interview spricht Punam über die Situation der Frauen in ihrem Land und die Auswirkungen der Geschlechterungleichheit auf die psychische Gesundheit von Mädchen und jungen Frauen. 

Was sind die größten Herausforderungen, vor denen Frauen in Nepal derzeit stehen? 

Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist ein großes Problem. Auf der Kinderstation, auf der ich derzeit arbeite, hatten wir kürzlich eine sehr schwierige Geburt. Die Eltern teilten uns mit, dass das Baby ein Sohn sei und wir alles dafür tun sollten, dass er überlebt. Wir wussten, dass sie das nicht sagen würden, wenn es ein Mädchen wäre. Es gibt viele illegale Schwangerschaftsabbrüche bei weiblichen Föten. Es macht mich sehr betroffen, wenn ich daran denke, wie die Diskriminierung schon am Anfang des Lebens beginnt. 

Frauen in Nepal sind geschlechtsspezifischer Gewalt, Kinderheirat und Menschenhandel ausgesetzt – und dem Mitgift-System. In der hinduistischen Tradition muss eine Frau nach der Heirat in das Haus ihres Mannes ziehen und eine Menge Geld mitbringen. Wir hören oft von Frauen, die sich keine Mitgift leisten konnten und von den Familien der Männer verletzt oder sogar ermordet wurden. Es gibt immer noch Fälle, in denen Frauen wegen des Vorwurfs der Hexerei verprügelt werden. Die Familien von Vergewaltigern bezahlen oft die Familien der Opfer, um sie zum Schweigen zu bringen. Selbst ein so natürlicher Vorgang wie die Menstruation wird stigmatisiert. Dies sind grundlegende Dinge, die unser Land am Fortschritt hindern. Ich habe den Eindruck, dass es noch Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauern wird, bis eine Frau als Bürgerin, als Mensch angesehen wird. Wie können wir uns selbstbestimmt fühlen? Es ist ein ständiger Kampf zwischen uns und der Gesellschaft. 

Obwohl ich selbstbestimmt aufgewachsen bin, mit der Unterstützung einer Familie, die mich aufgezogen und mir Möglichkeiten gegeben hat, fühle ich mich aufgrund der gesellschaftlichen Normen manchmal immer noch unzulänglich. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht selbst auf mich aufpassen kann, wenn ich nachts allein unterwegs bin. Wenn ich eine Gruppe von Männern sehe, muss ich Angst haben. Es gibt Tage, an denen wir uns schlecht fühlen, nur weil wir Frauen sind. Ich kann über meine Probleme sprechen, aber in meinem Land, vor allem in abgelegenen Gebieten, gibt es viele Frauen, deren Stimme immer unterdrückt wird. 

Ich habe den Eindruck, dass es noch Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauern wird, bis eine Frau als Bürgerin, als Mensch angesehen wird. 

Punam Thapa

Was können Betreuerinnen und Betreuer tun, um Mädchen beim Heranwachsen zu unterstützen? 

Immer zuhören. Hören Sie einfach zu, was sie zu sagen hat, ohne zu urteilen oder Vermutungen anzustellen. In jedem Alter und in jeder Lebensphase - sei es, wenn sie ihre Menstruation hat, wenn sie eine Berufsberatung braucht, wenn sie über ihren Freund sprechen will oder wenn sie versehentlich schwanger wird. Ihr Gehör zu schenken ist eine Sache, die die Hälfte aller Probleme lösen wird. Bei meinem älteren Bruder habe ich das zumindest immer so empfunden. Wir kamen zusammen ins SOS-Kinderdorf in Surkhet und hatten das Glück, in derselben Familie zu wohnen. In den guten und schlechten Momenten war er derjenige, der mich angetrieben und mich nie im Stich gelassen hat. Ich bin sehr privilegiert, denn es gibt da draußen Menschen, die niemanden haben, mit dem sie reden können. 

Ich glaube nicht an große Lösungen für Probleme wie die Ungleichheit der Geschlechter. Es sind die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen. Wenn ich von meiner Familie unterstützt werde und eine andere Frau von ihrer, dann wird sich unser Land auf diese Weise weiterentwickeln. Die Lösung ist eigentlich gar nicht so schwer - man muss nur bei seiner Schwester, Tochter, Mutter oder Frau anfangen. Seien Sie für sie da, wenn sie verletzt ist oder leidet. Setzen Sie sich für sie ein, wenn sie es braucht. So funktioniert Fortschritt. 

Punam Thapa an ihrem Arbeitsplatz. 

Wie kann man jungen Frauen beim Eintritt ins Erwachsenenleben helfen? 

Wenn wir aus dem SOS-Kinderdorf in eine Jugendhilfeeinrichtung wechseln oder in eine größere Stadt oder ins Ausland ziehen, sind das die entscheidenden Momente, in denen wir Berufsberatung und emotionale Unterstützung brauchen. Es wird Zeiten geben, in denen wir Anregungen benötigen oder an unseren Fähigkeiten zweifeln. Unsere Erziehungsberechtigten sollten mit uns darüber sprechen, was wir erwarten können. Unsere Familien sollten uns schätzen, uns motivieren und uns immer wieder sagen, dass wir gute Arbeit leisten. Nichts auf dieser Welt ist großartiger als die Familie. 

Sie haben sich auf die Förderung der psychischen Gesundheit junger Menschen spezialisiert. Welche Bedrohungen gibt es für die psychische Gesundheit von Mädchen und jungen Frauen? 

"Warum muss man als Frau bis spät in die Nacht feiern? Warum geht man als Frau mit einem Mann aus? Warum verliert man als Frau seine Jungfräulichkeit vor der Ehe?" Dies sind Sätze, die in unserer Gesellschaft oft wiederholt werden. Mädchen werden für dieselben Dinge anders beurteilt als Jungen, und das wirkt sich auf ihre psychische Gesundheit aus. Sie werden immer unterdrückt und stehen nie im Mittelpunkt. Sie erhalten von klein auf dieses Bild von der Gesellschaft, und das setzt sich in ihren Köpfen fest. Darüber hinaus gibt es einen Qualitätsunterschied in der medizinischen Versorgung, die Frauen erhalten, selbst wenn sie an denselben körperlichen oder seelische Krankheiten leiden wie Männer. "Warum muss man als Frau behandelt werden?" 

Psychische Erkrankungen sind in Nepal und auf der ganzen Welt immer noch ein Tabuthema. Doch in Wirklichkeit gehen körperliche und mentale Gesundheit immer Hand in Hand. Über psychische Gesundheit zu sprechen, ist ein Schritt in Richtung Normalität. Ich möchte wirklich, dass junge Menschen über ihre Probleme sprechen, aber wenn wir diese Gespräche nicht initiieren, wird das nicht passieren. Junge Frauen werden nicht über Themen sprechen, die sie bewegen, wie Beziehungen und Sexualität, wenn sie wissen, dass diese Themen mit einem gesellschaftlichen Stigma behaftet sind. Sie müssen das Gefühl haben, dass sie Menschen haben, an die sie sich wenden können, ohne verurteilt zu werden. 

Steht für euch selbst ein. Habt eine Vision davon, was ihr im Leben wirklich wollt. Es muss nicht um Geld oder Erfolg gehen, sondern darum, ein guter, freundlicher, glücklicher Mensch zu sein. 

Punam Thapa

Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie  jungen Frauen und Mädchen mit auf den Weg geben möchten, die über ihre berufliche Laufbahn nachdenken? 

Fangt bei euch selbst an. Seit immer bereit, euch über gesellschaftliche Normen hinwegzusetzen, wenn sie nicht richtig sind. Steht für euch selbst ein. Habt eine Vision davon, was ihr im Leben wirklich wollt. Es muss nicht um Geld oder Erfolg gehen, sondern darum, ein guter, freundlicher, glücklicher Mensch zu sein. Wir sollten jeden Tag danach streben, bessere Menschen zu werden. Wir sollten von Tag zu Tag freundlicher werden, denn das ist es, was unsere Welt jetzt braucht. Wir werden vielleicht nicht viele Menschen beeinflussen, aber zumindest können wir in unserem Leben und in unseren Familien etwas bewirken. Hut ab vor all den Frauen, die es versuchen. Eine Frau stärkt die andere - so wird sich der Wandel vollziehen. 

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