Häusliche Gewalt gegen Kinder in Lateinamerika

Kinder in einer mexikanischen Siedlung, in der SOS Familien hilft, bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Foto: José Gallo

Männer, die ihre Frau schlagen, Eltern, die ihre Kinder misshandeln. Häusliche Gewalt ist die Hauptursache dafür, dass Kinder ihre Familien verlieren. In Lateinamerika ist Gewalt in der Erziehung weit verbreitet. Jungen und Mädchen, die von ihren Eltern geschlagen, vernachlässigt oder psychisch misshandelt werden, entwickeln zahlreiche Symptome bis hin zu schweren Traumata und werden später oftmals selbst gewalttätig. Sie brauchen unsere Hilfe!

Probleme werden mit Faust oder Waffe geregelt: In Lateinamerika prägt die Gewalt auf der Straße den Alltag - und greift auf die Familien über.

  • Laut einer Studie denkt in Paraguay über die Hälfte der Kinder selbst, dass es für ihre Entwicklung wichtig sei, Prügel zu bekommen.
  • In der Region werden jährlich 6 Millionen Kinder Opfer schweren Missbrauchs
  • 80.000 Mädchen und Jungen sterben jährlich an den Folgen häuslicher Gewalt. Das bedeutet: Jeden Tag sterben 220 Kinder!
In Lateinamerika sterben jeden Tag 220 Kinder an den Folgen häuslicher Gewalt. Foto: Gerrit Reinmueller

Gewalt gegen Kinder ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen! Es gibt ausreichend Belege dafür, dass Kindesmisshandlung durch gezielte Maßnahmen verhindert werden kann. Dazu gehören entsprechende Gesetze, Aufklärung, die Erhebung von exakten Daten, Anlaufstellen für Kinder und Unterstützungsprogramme für Familien. Doch wie lässt sich erklären, dass Lateinamerika ein Brennpunkt häuslicher Gewalt ist?

Ausufernde Kriminalität

In vielen Ländern Lateinamerikas hat die Kriminalität dramatische Ausmaße angenommen. Die SOS-Kinderdörfer in der Region erhalten daher manchmal ungewöhnliche Anfragen. "Ein Jugendgericht wollte, dass wir ein Kind aus einer Familie von Auftragsmördern aufnehmen", erzählt Lily Valladares, die Leiterin des SOS-Kinderdorfs in Retalhuleu, einer Stadt in der pazifischen Küstenebene von Guatemala. "Wir mussten das ablehnen. Wir sind für solche Fälle nicht eingerichtet."

Man muss damit rechnen, dass die Familie sich das Kind zurückholen will – mit Waffengewalt. In Lateinamerika und in der Karibik werden viele Probleme mit einer Pistole geregelt.

Die Region ist, was Gewaltkriminalität angeht, die gefährlichste der Welt. Nach einer Studie der Vereinten Nationen liegen 43 der 50 gefährlichsten Städte in Lateinamerika und der Karibik. Die Gewalt auf der Straße prägt den Alltag der Menschen und setzt sich in der Familie fort.

Konflikte und Jahrzehnte der Gewaltherrschaft

Die ausufernde Gewalt in Lateinamerika ist wesentlich Folge der zerstörten sozialen Beziehungen. Von den 60er-Jahren bis in die 90er-Jahre wüteten in Zentralamerika blutige Bürgerkriege, der in Kolumbien dauert bis heute an. In den meisten südamerikanischen Ländern regierten grausame Militärdiktaturen.

Überall herrschte Angst und Misstrauen, selbst innerhalb von Familien. In den Kriegsländern flohen die Familien aus den umkämpften ländlichen Gebieten in die Stadt. Oft kamen in den dortigen Flüchtlingslagern nur noch Bruch teile einstiger Großfamilien an. Die Kinder wuchsen ohne Schulbildung auf. Morde, die nie aufgeklärt wurden, gehörten zum Alltag.

In diesen Jahrzehnten der Gewaltherrschaft wurden die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen Lateinamerikas zerstört. Millionen von Arbeitsplätzen gingen verloren, Zu den Bürgerkriegsflüchtlingen kam die Armutsmigration. Zuerst gingen die Väter, oft folgten die Mütter. Die Kinder wurden bei Verwandten untergebracht. Sie waren die eigentlichen Verlierer. Heute sind sie selbst Eltern und geben ihre Gewalterfahrung weiter. Hier greift SOS mit seinen Programmen zur Gewaltprävention ein.

Die gefürchteten Mara-Jugendbanden

Auch die Jugendlichen Lateinamerikas werden in die Gewaltspirale gesogen: Vor allem in den Armenvierteln der Städte gilt das Recht des Stärkeren. Etwas anderes haben die dort Auf gewachsenen auch nie erlebt. Besonders schlimm ist es in El Salvador, Honduras und Guatemala.

Dort haben sich die entwurzelten Verlierer zu Jugendbanden – sogenannten Maras – zusammengeschlossen, einer Art krimineller Ersatzfamilie. Auch das SOS-Kinderdorf in Retalhuleu hat schon Erfahrungen mit Maras gemacht. Eine Bande versuchte, einen Jugendlichen aus dem Dorf an zu werben. Der wollte nicht. Die Mara kam in der Nacht und hat das Haus, in dem er wohnte, mit Steinen beworfen – eine erste Warnung.

Wegen solcher Erfahrungen wurde eine Mauerrund um das Dorf gebaut, den Eingang kontrolliert ein Wächter. Der Junge musste von der Schule genommen und in ein anderes Dorf verlegt werden, weit weg. "Es hätte sein können, dass sie ihn umbringen", sagt die Kinderdorfleiterin Valla da res. SOS konnte diesen Jugendlichen erfolgreich schützen. Vielen anderen Jugendlichen im Land fehlt dieser Schutz. Umso wichtiger ist es, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, um Jugendliche aus den Gemeinden zu schützen und gleichzeitig ebendiesen Jugendlichen Perspektiven jenseits der Bandenkriminalität aufzuzeigen.

 

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Familien unterstützen und häusliche Gewalt verhindern: So helfen die SOS-Kinderdörfer in Lateinamerika

Die SOS-Kinderdörfer setzen sich intensiv dafür ein, dass Jungen und Mädchen ein liebevolles Zuhause bekommen und damit die Chance auf eine positive Zukunft. Der Kreislauf von Gewalt und Kindesmisshandlung beginnt auf viele Arten, gestoppt werden kann er nur durch Aufklärung und Intervention.

SOS-Mitarbeiterin Sarah betreut Kinder im Gemeindezentrum von La Paz, Bolivien.

Seit 55 Jahren engagiert sich SOS der Region. Aktuell leben 8.723 Kinder und 3.337 Jugendliche in den SOS-Kinderdörfern und Jugendeinrichtungen Lateinamerikas. Darunter viele Jungen und Mädchen, die durch ihre Eltern Gewalt und Vernachlässigung erlebt haben. In einem sicheren, liebevollen Umfeld unterstützen wir sie, das Erlebte zu verarbeiten. Diese gewaltfreien Erziehungsmethoden vermitteln wir auch jenen Eltern, die unsere Hilfe suchen.

SOS begleitet die Eltern in ihrem Alltag

Kontinuierlich haben die SOS-Kinderdörfer ihr Engagement gegen häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung weiter ausgebaut: Die SOS-Familienhilfe arbeitet gezielt mit Eltern und Gemeinden, klärt auf und unterstützt vor allem junge, alleinerziehende Mütter dabei, ihre Kinder friedvoll zu erziehen. Oftmals haben diese Frauen selbst Gewalterfahrungen gemacht und handeln aus Hilflosigkeit. Dazu kommt der tägliche Stress durch Überlastung, der die Psyche belastet und zu Selbstzweifeln und Depressionen führt.
Diese Überforderung ist es, die häufig zu Vernachlässigung und anderen Formen der Gewalt führt. Hier setzt die SOS-Familienstärkung ganzheitlich an.

Beratung und Anlaufstelle

Die Arbeit der SOS-Kinderdörfer geht an die Wurzeln der Gewalt, schafft Bewusstsein und begleitet die Eltern ganz konkret in ihrem Alltag: Die SOS-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besprechen mit den Betroffenen, wann in den Familien Situationen eskalieren, und entwickeln Lösungsmöglichkeiten, um Konflikte auf friedliche Weise und mit gegenseitigem Respekt zu entzerren. Gezielt unterstützen wir auch Väter, ermutigen sie, den traditionellen Rollenbildern zum Trotz achtsam und auf Augenhöhe mit ihren Kindern umzugehen und Zeit mit ihnen zu verbringen.

Und wir bieten Kindern eine Anlaufstelle, an die sie sich jederzeit wenden können. So unterstützen wir fast 60.000 Jungen und Mädchen in Lateinamerika und verhelfen ihnen dazu, dass ihre Rechte gewahrt werden und ihr Zuhause tatsächlich ein liebevolles, gewaltfreies wird.

Bausteine der SOS-Familienstärkung

  • Informationsveranstaltungen in Gemeinden
  • Individuelle Beratungsgespräche
  • Gruppentreffen
  • Psychotherapie, Paar- und Familientherapie
  • Ausbildungsprogramme

"Beende es!" SOS-Aufklärungskampagne erreicht 30 Millionen Menschen

"Detenlo Ya!", auf Deutsch: "Beende es!" Mit diesem Aufruf starteten die SOS-Kinderdörfer in 16 lateinamerikanischen Ländern gleichzeitig eine Aufklärungskampagne, um vor allem über psychische Gewalt und Vernachlässigung zu informieren – die am meisten übersehenen Formen häuslicher Gewalt. Bis 2017 erreichte SOS so 30 Millionen Menschen.

Ziel war es, so vielen Menschen wie möglich bewusst zu machen, dass Drohen, Schreien, Einschüchtern und Demütigen schwere Schäden anrichten können, dass mangelnder Schutz und unzureichende Versorgung ebenfalls Gewalt sind.

SOS-Mitarbeiterin Julietta Rodriguez, die die Kampagne mit geleitet hat, sagt: "Es war uns wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir alle dafür verantwortlich sind, Gewalt gegen Kinder zu stoppen und einzugreifen, wenn ein Kind in Gefahr ist!" Zahlreiche lateinamerikanische Prominente, Unternehmen und Medien unterstützten die Kampagne, machten mit und wir erreichten schließlich 30 Millionen Menschen!

Und unser Kampf geht weiter: Weil wir tagtäglich erleben, wie tief verankert die Akzeptanz von Gewalt als Erziehungsmethode in der Gesellschaft sind, leisten die SOS-Kinderdörfer unermüdlich Aufklärung.

Bitte unterstützen Sie unsere Projekte gegen häusliche Gewalt in Mexiko, Venezuela und Bolivien!

 

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